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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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nüchternen Version des nächtlichen Unfalls mit dem tiefhängenden Ast bewenden lassen. Adamsberg wußte die Feinheit dieser Unterlassung zu schätzen, war es doch stets verlockend, sich über eine gute Trinkerstory zu amüsieren. Danglard hätte aus seiner Säuferpleite einen Vorteil gezogen, und Noël hätte sicherlich einigen gepfefferten Witzen nicht widerstehen können. Bekanntlich aber zog ein Witz oft einen anderen nach sich, und wenn der Vorfall bis zu Brézillon gedrungen wäre, hätte er seine Auswirkungen auch im Fall Favre zu spüren bekommen. Ginette war als einzige informiert worden, um ihn behandeln zu können, und sie hatte gleichfalls geschwiegen. Hier mußten Taktgefühl und Zurückhaltung ein Gerüchtezimmer auf die Größe eines Plättchens verkleinern, während in Paris Gerüchte stets die Neigung hatten, durch die Mauern zu sickern und über die Straße bis zur Brasserie der Philosophen zu fließen.
    Nur Danglard erkundigte sich nicht nach seiner Gesundheit. Der nahe bevorstehende Abflug hatte ihn erneut in einen Zustand verstörter Erstarrung getaucht, den er den Leuten aus Quebec, so gut es ging, zu verbergen suchte.
     
    Adamsberg verbrachte den letzten Tag als eifriger Schüler unter der Vormundschaft von Alphonse Philippe-Auguste, der ein so schlichter Mensch war wie sein Nachname berühmt. Um fünfzehn Uhr ordnete der Surintendant den Abschluß der Arbeiten an und versammelte die sechzehn Teamkollegen für ein Resümee und einen Abschiedsumtrunk.
    Der zurückhaltende Sanscartier kam auf Adamsberg zu.
    »Dir war wohl ’n bißchen trübe zumute, nehm ich an?« fragte er.
    »Wieso?« meinte Adamsberg vorsichtig.
    »Du willst mir doch nicht weismachen, daß einer wie du gegen einen Ast läuft. Du bist ein Waldmensch, du kanntest den Pfad besser als deine Stiefel.«
    »Also?«
    »Also in meinem ganz persönlichen Buch warst du wegen deines Falls oder einer anderen Sache, die dich ankotzt, bedrückt. Du hast ins Glas geschaut und bist gegen den Ast gelaufen.«
    Ein Mann für den Außendienst, dieser Sanscartier, ein Observierungstyp.
    »Was hat es schon für eine Bedeutung«, fragte Adamsberg, »auf welche Weise man gegen einen Ast rennt?«
    »Genau darum geht’s. Irgendwann ist man so bedrückt, daß man dauernd Äste abkriegt. Und wegen deines Dämons mußt du ihnen ausweichen. Du solltest nicht warten, bis das Wasser gefriert, um ans andere Ufer zu kommen, kannsta mir folgen? Räum alles nach draußen, steig den Hang hoch und halt dich fest.«
    Adamsberg lächelte ihm zu.
    »Vergiß mich nicht«, sagte Sanscartier und reichte ihm die Hand. »Du hast versprochen, mir Bescheid zu geben, wenn du deinen verdammten Kerl geschnappt hast. Könntest du mir vielleicht ein Fläschchen Seife mit Mandelmilch schicken?«
    »Wie bitte?«
    »Ich kannte mal einen Franzosen, der so was hatte. Ich persönlich mochte den Duft sehr.«
    »Verstanden, Sanscartier, ich werde dir ein Päckchen fertigmachen.«
    Glück in der Seife. Einige Sekunden lang beneidete Adamsberg den Sergent um seine Wünsche. Der Duft von Mandelmilch würde hervorragend zu ihm passen. Ja, er mußte für ihn erfunden worden sein.
     
    In der Flughafenhalle überprüfte Ginette ein letztes Mal den Bluterguß auf Adamsbergs Stirn, während er unruhig nach Noëlla Ausschau hielt. Die Einstiegszeit rückte immer näher, und keine Noëlla kam in Sicht. Er begann freier zu atmen.
    »Wenn es wegen des Drucks im Flugzeug anfängt zu pochen, nimmst du das hier«, sagte Ginette und legte ihm vier Tabletten in die Hand.
    Dann steckte sie die Salbentube in sein Gepäck und verordnete ihm, die Salbe noch eine Woche lang aufzutragen.
    »Vergiß es nicht«, fügte sie mißtrauisch hinzu.
    Adamsberg umarmte sie, dann verabschiedete er sich vom Surintendant.
    »Danke für alles, Aurèle, und danke, daß du den Kollegen nichts gesagt hast.«
    »Criss, das passiert doch jedem mal, daß er sich den Kopp zuschmiert. Aber man sollte so ’ne Meldung nicht gleich ausposaunen, damit alle es spitzkriegen. Nachher kann man ihnen das Maul nämlich nicht mehr zuhalten.«
     
    Der Start der Triebwerke hatte auf Danglard dieselbe unheilvolle Wirkung wie auf dem Hinflug. Diesmal hatte Adamsberg es vermieden, sich neben ihn zu setzen, dafür aber Retancourt als Sachbearbeiterin hinter ihn plaziert. Und sie bearbeitete ihn denn auch zweimal während des Fluges, so daß bei der Landung der Maschine am Morgen in Roissy jeder dösig war, mit Ausnahme von Danglard, der

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