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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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gehalten zu werden. Darauf sind sie sehr erpicht, und das ist unser Haupttrumpf. Wenn sie mit dem Badezimmer fertig sind, gehen sie wieder hinaus, damit ich mich anziehen kann, und wieder ist die Tür geschlossen. Während sie das Zimmer durchsuchen, komme ich heraus, diesmal angekleidet, wobei ich die Tür natürlich offen lasse. Und Sie haben Ihren Platz hinter dieser Tür wieder eingenommen.«
    »Lieutenant, den Abschnitt ›Wir bilden eine Einheit‹ habe ich nicht begriffen«, sagte Adamsberg.
    »Haben Sie noch nie Nahkampf gemacht? Der Angreifer, der Sie von hinten niederwirft?«
    »Nein, nie.«
    »Ich werde Ihnen die Stellung einmal vorführen«, sagte Retancourt und stand auf. »Entpersonalisieren wir. Ein stehendes Individuum. Ich. Groß und dick, das ist unsere Chance. Ein anderes Individuum, leichter und kleiner. Sie. Sie sind unter dem Bademantel. Der Kopf und die Schultern liegen auf meinem Rücken, Ihre Arme sind fest um meine Taille geklammert, das heißt unsichtbar in meinem Bauch vergraben. Jetzt Ihre Beine. Hinter meinen verkeilt, die Füße vom Boden abgehoben und um meine Waden geschlungen. Ich stehe mit verschränkten Armen in der Zimmerecke, die Füße ein wenig auseinandergestellt, um meinen Schwerpunkt abzusenken. Können Sie mir folgen?«
    »Guter Gott, Retancourt, soll ich mich etwa wie ein Affe an Ihren Rücken heften?«
    »Sie sollen sich sogar wie eine Flunder anheften. Anheften, genau das ist der Plan. Es wird nur wenige Minuten dauern, maximal zwei. Das Badezimmer ist winzig, die Durchsuchung wird schnell gehen. Sie werden mich nicht anschauen. Ich werde mich nicht bewegen. Sie auch nicht.«
    »Das ist absurd, Retancourt, wir werden’s erleben.«
    »Wir werden’s nicht erleben. Ich bin dick. Ich werde in den Bademantel gewickelt und in der Ecke postiert sein, von vorn. Damit Sie an meiner Haut nicht abrutschen, lege ich einen Gürtel unter dem Bademantel an, an dem Sie sich festklammern werden. Dort werden wir auch Ihre Brieftasche befestigen.«
    »Ich bin viel zu schwer zu tragen«, meinte Adamsberg kopfschüttelnd. »Ich wiege zweiundsiebzig Kilo, sind Sie sich dessen bewußt? Es wird nicht funktionieren, es ist Wahnsinn.«
    »Es wird funktionieren, ich habe es nämlich schon zweimal gemacht, Kommissar. Mit meinem Bruder, als ihn die Bullen wegen irgendeiner Lappalie gesucht haben. Mit neunzehn Jahren hatte er ungefähr Ihre Größe und wog neunundsiebzig Kilo. Ich zog den Morgenmantel meines Vaters über, und er preßte sich an meinen Rücken. Wir hielten vier Minuten durch, ohne mit der Wimper zu zucken. Das nur zu Ihrer Beruhigung.«
    »Wenn Violette es sagt«, meinte Raphaël ein wenig verwirrt.
    »Wenn sie es sagt«, wiederholte Adamsberg.
    »Und noch was, bevor wir uns einig werden. Wir können es uns nicht erlauben, rumzutricksen und zu scheitern. Unsere Waffe ist die Wahrscheinlichkeit. Ich werde in dieser Badewanne tatsächlich nackt sein, das versteht sich von selbst, und also auch wirklich nackt unter diesem Bademantel. Und Sie werden wirklich an meinem Rücken klammern. Ich akzeptiere die Unterhose, aber kein weiteres Kleidungsstück. Einerseits rutschen die Sachen, andererseits verhindern sie, daß der Bademantelstoff normal fällt.«
    »Falsche Falten«, sagte Raphaël.
    »Genau. Dieses Risiko können wir nicht eingehen. Ich verstehe, wie verfänglich das alles ist, doch ich glaube nicht, daß dies der richtige Zeitpunkt ist, sich zu genieren. Darüber müssen wir uns im voraus verständigen.«
    »Mich geniert es nicht«, Adamsberg zögerte, »wenn es Sie nicht geniert.«
    »Ich habe vier Brüder großgezogen, und unter bestimmten extremen Bedingungen halte ich Verlegenheit für einen Luxus. Wir befinden uns unter extremen Bedingungen.«
    »Aber Himmelherrgott, Retancourt, selbst wenn sie unverrichteterdinge Ihr Zimmer verlassen sollten, werden sie dennoch nicht die Überwachung aufgeben. Sie werden das Hotel Brébeuf vom Keller bis zum Dachboden umpflügen.«
    »Aber gewiß.«
    »So daß ich, ob nun Nahkampf oder nicht, es nicht schaffen werde, aus dem Gebäude herauszukommen.«
    »Er wird herauskommen«, sagte Retancourt und deutete auf Raphaël. »Das heißt Sie als er. Sie verlassen das Hotel um elf Uhr, in seinem Anzug, seiner Krawatte, seinen Schuhen und seinem Mantel. Ich werde Ihnen seinen Haarschnitt verpassen, sobald wir angekommen sind. Das wird hervorragend klappen. Von weitem wird man Sie nicht erkennen. Und für die sind Sie sowieso wie ein armer

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