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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Anzug, und nehmen Sie einen weiteren mit. Den grauen. Und auch zwei Mäntel und zwei Krawatten.«
    »Retancourt, Sie werden meinen Bruder doch nicht in die Scheiße reiten?« unterbrach Adamsberg.
    »Nein, nur die Bullen aus Gatineau. Sie, Kommissar, räumen gleich nach unserer Ankunft Ihr Zimmer leer, ganz so, als hätten Sie sich in größter Eile davongemacht. Ihre Sachen schaffen wir uns vom Hals. Sie haben ohnehin nur wenig mit, das trifft sich gut.«
    »Zerlegen wir sie zu Buletten? Essen wir sie auf?«
    »Wir stecken sie in den großen Mülleimer auf dem Etagenflur, dieses Stahlding mit der Klappe.«
    »Alles? Klamotten, Bücher, Rasierzeug?«
    »Alles, einschließlich Ihrer Dienstwaffe. Wir schmeißen Ihre Klamotten weg und retten Ihre Haut. Brieftasche und Schlüssel behalten wir.«
    »Die Tasche wird nicht in den Mülleimer passen.«
    »Wir lassen sie in meinem Schrank, leer, als gehörte sie mir. Frauen haben viel Gepäck.«
    »Kann ich meine Uhren behalten?«
    »Ja.«
    Die beiden Brüder ließen sie nicht aus den Augen, der eine mit unbestimmtem, mildem, der andere mit klarem, leuchtendem Blick. Raphaël Adamsberg hatte dieselbe stille Geschmeidigkeit wie sein Bruder, seine Bewegungen jedoch waren lebhafter und die Reaktionen schneller.
    »Die Cops erwarten uns um neun Uhr in der GRC«, fuhr Retancourt fort, wobei ihr Blick vom einen zum anderen ging. »Nach zwanzig Minuten Verspätung, nicht mehr, denke ich, wird Laliberté versuchen, den Kommissar im Hotel zu erreichen. Keine Antwort, man löst Alarm aus. Die Jungs werden in sein Zimmer stürmen. Leer, der Verdächtige verschwunden. Genau diesen Eindruck müssen wir ihnen vermitteln: daß er schon fort ist, daß er ihnen entwischt ist. Gegen neun Uhr fünfundzwanzig werden sie mein Zimmer betreten, für den Fall, daß ich Sie versteckt hätte.«
    »Aber wo denn versteckt, Retancourt?« fragte Adamsberg voller Unruhe.
    Retancourt hob die Hand.
    »Die Quebecois sind schamhaft und zurückhaltend«, sagte sie. »Keine nackten Frauen auf den Titelseiten der Zeitschriften oder an den Uferstränden. Darauf setzen wir, auf ihre Schambaftigkeit. Sie und ich dagegen«, sagte sie und wandte sich Adamsberg zu, »wir müssen sie vergessen. Es wäre nicht der richtige Augenblick, um prüde zu sein. Und falls Sie’s doch sind, müssen Sie sich bloß ins Gedächtnis rufen, daß Ihr Kopf auf dem Spiel steht.«
    »Ich entsinne mich.«
    »Wenn die Bullen reinkommen, werde ich im Badezimmer sein, genauer gesagt in der Badewanne, bei geöffneter Tür. Wir haben keine Wahl, was die Mittel betrifft.«
    »Und Jean-Baptiste?« fragte Raphaël.
    »Ist hinter der geöffneten Tür versteckt. Bei meinem Anblick treten die Bullen ins Zimmer zurück. Ich schreie und beschimpfe sie wegen ihrer Rücksichtslosigkeit. Vom Zimmer aus entschuldigen sie sich, stottern herum, erklären mir, sie suchten den Kommissar. Ich weiß von nichts, er hat mich angewiesen, im Hotel zu bleiben. Sie wollen die Räume durchsuchen. Na schön, aber sie sollen mir wenigstens die Zeit lassen, mir was anzuziehen. Sie treten noch weiter zurück, damit ich aus der Wanne steigen und die Tür schließen kann. Bis hierher alles klar?«
    »Ich kann folgen«, sagte Raphaël.
    »Ich ziehe einen Bademantel über, einen sehr großen Bademantel, der mir bis auf die Füße fällt. Den wird Raphaël hier für uns kaufen müssen. Ich gebe Ihnen noch meine Maße.«
    »Welche Farbe?« fragte Raphaël.
    Die Selbstverständlichkeit der Frage unterbrach Retancourts strategischen Eifer.
    »Hellgelb, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Hellgelb«, bestätigte Raphaël. »Und weiter?«
    »Wir, der Kommissar und ich, sind im Badezimmer, die Tür ist zu. Die Cops sind im Zimmer. Begreifen Sie jetzt die Situation, Kommissar?«
    »Genau an diesem Punkt komme ich nicht mit. In diesen Badezimmern gibt es einen Spiegelschrank, ein Wandregal und sonst nichts. Wo wollen Sie mich denn hintun? Ins Schaumbad?«
    »Auf mich drauf, ich sagte es bereits. Oder eher hinter mich. Hier nun bilden wir eine Einheit, aufrecht stehend.
    Ich lasse sie eintreten und halte mich, beleidigt, in einer Ecke im Hintergrund, mit dem Rücken zur Wand. Sie sind keine Idioten, sie nehmen das Badezimmer gründlich in Augenschein, schauen hinter die Tür, stecken den Arm ins Wasser der Wanne. Ich bringe sie noch stärker in Verlegenheit, indem ich den Bademantel leicht offen lasse. Sie werden nicht wagen, mich anzuschauen, sie werden nicht wagen, für Voyeure

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