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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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man Sie nach Fresnes verlegen, mindestens zwanzig Jahre Haft. Nein, Kommissar, Sie müssen fliehen, abhauen von hier.«
    »Sind Sie sich im klaren, was Sie da sagen? Sind Sie sich bewußt, daß Sie mich in dem Falle decken würden?«
    »Vollkommen.«
    Adamsberg wandte sich seinem Lieutenant zu.
    »Und wenn ich es nun war, Retancourt?« brachte er hervor.
    »Fliehen«, antwortete sie, indem sie der Frage auswich.
    »Und wenn ich es war?« beharrte Adamsberg lauter.
    »Wenn Sie Zweifel haben, sind wir beide erledigt.«
    Adamsberg beugte sich in der Dunkelheit vor, um sie genauer zu betrachten.
    »Zweifeln Sie nicht?« fragte er.
    »Nein.«
    »Warum? Sie mögen mich nicht, und alles spricht gegen mich. Und doch glauben Sie es nicht.«
    »Nein. Sie würden nicht töten.«
    »Warum?«
    Retancourt verzog ein wenig das Gesicht und schien ihre Formulierung abzuwägen.
    »Sagen wir, es interessiert Sie nicht genug.«
    »Sind Sie da sicher?«
    »Soweit ein Mensch sicher sein kann. Entweder Sie vertrauen mir, oder Sie sind tatsächlich verloren. Was Sie im Augenblick tun, ist nicht, sich zu verteidigen, sondern sich sinken zu lassen.«
    In den Schlamm des toten Sees, dachte Adamsberg.
    »Ich erinnere mich nicht mehr an jene Nacht«, wiederholte er wie ein Automat. »Mein Gesicht und meine Hände waren voller Blut.«
    »Ich weiß. Sie haben die Aussage des Wachmanns.«
    »Vielleicht war es nicht mein Blut.«
    »Sehen Sie, Sie lassen sich sinken. Sie akzeptieren. Der Gedanke dringt wie ein Reptil in Sie ein, und Sie überlassen sich ihm.«
    »Vielleicht war der Gedanke schon in mir, seitdem ich den Dreizack wiedererweckt habe. Und er ist explodiert, als ich das Werkzeug sah.«
    »Sie lassen sich sinken«, beharrte Retancourt, »bis in seine Gruft. Sie selbst legen Ihren Kopf auf den Henkersklotz.«
    »Das ist mir klar.«
    »Kommissar, denken Sie rasch nach. Für wen entscheiden Sie sich? Für sich? Oder mich?«
    »Für Sie«, antwortete Adamsberg instinktiv.
    »Also Flucht.«
    »Nicht ausführbar. Die sind doch keine Idioten.«
    »Wir auch nicht.«
    »Und sie sind uns längst auf den Fersen.«
    »Es kommt natürlich nicht in Frage, von Detroit aus zu fliehen. Der Haftbefehl ist schon nach Michigan weitergereicht worden. Wir werden, wie vorgesehen, Dienstag früh ins Hotel Brébeuf zurückkehren.«
    »Und über den Keller verschwinden? Wenn die mich nicht pünktlich herauskommen sehen, werden sie alles durchsuchen. Mein Zimmer auf den Kopf stellen und das ganze Gebäude. Das Verschwinden ihres Wagens feststellen, die Flughäfen abriegeln. Es wird mir nie die Zeit bleiben, ein Flugzeug zu erwischen. Nicht mal das Hotel zu verlassen. Man wird mich genauso erledigen wie diesen Brébeuf.«
    »Nicht die werden uns verfolgen, Kommissar. Sondern wir werden sie dahin führen, wohin wir sie haben wollen.«
    »Und das wäre?«
    »In mein Zimmer.«
    »Ihr Zimmer ist genauso winzig wie meins. Wo wollen Sie mich da verstecken? Auf dem Dach? Da werden sie ganz sicher raufsteigen.«
    »Natürlich.«
    »Unter dem Bett? Im Wandschrank? Oben auf dem Schrank?«
    Adamsberg zuckte in einer Anwandlung von Hoffnungslosigkeit mit den Achseln.
    »Auf mir.«
    Der Kommissar sah seinen Lieutenant an.
    »Es tut mir leid«, sagte sie, »aber es wird nur zwei oder drei Minuten dauern. Eine andere Lösung gibt es nicht.«
    »Retancourt, ich bin keine Haarklammer. In was gedenken Sie mich denn zu verwandeln?«
    »Ich werde mich verwandeln. In einen Pfeiler.«

35
     
    Retancourt hatte zwei Stunden gehalten, um zu schlafen, und um sieben Uhr früh kamen sie in Detroit an. Die Stadt war so trostlos anzusehen wie eine verarmte alte Herzogin, die noch die Fetzen ihrer einst kostbaren Roben trägt. Schmutz und Elend hatten die Pracht des alten Detroit ersetzt.
    »Es ist dieser Wohnblock dort«, sagte Adamsberg, den Stadtplan in der Hand.
    Er betrachtete das Gebäude, das ziemlich schwarz, aber in gutem Zustand war und an eine Cafeteria grenzte, wie ein historisches Bauwerk. Was es auch war, denn schließlich ging, schlief und lebte hinter diesen Mauern Raphaël.
    »Die Cochs parken zwanzig Meter hinter uns«, bemerkte Retancourt. »Schlauberger. Was denken die sich eigentlich? Daß wir nicht wissen, daß wir sie seit Gatineau im Schlepptau haben?«
    Adamsberg saß etwas vorgebeugt, die Arme über der Taille verschränkt.
    »Ich lasse Sie allein hinaufgehen, Kommissar. Ich stärke mich indessen in der Cafeteria und warte auf Sie.«
    »Ich schaff’s nicht«, sagte

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