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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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das Haus komplett abgedunkelt, und dann habe ich eine Kerze ganz nah an dein Ohr gehalten. Das war eine Idee von Pfarrer Grégoire: ›Jetzt werden wir dich exorzieren, mein Bürschchen.‹ Das waren so seine Pfaffenscherze. Erinnerst du dich? Und die Mücke ist aus dem Gehörgang bis zu der Flamme gekrochen. Und hat sich mit einem ganz feinen Geräusch die Flügel verbrannt. Erinnerst du dich an das feine Geräusch?«
    »Ja. Und Grégoire hat gesagt: ›Der Teufel knistert im Höllenfeuer.‹ Auch so ein Pfaffenscherz.«
    Adamsberg griff nach seinem Pullover und seiner Jacke.
    »Glaubst du, daß es möglich ist, sehr möglich?« begann er von neuem. »Unseren Dämon mit einem kleinen Licht aus seinem Tunnel zu locken?«
    »Wenn er in unserem Ohr sitzt.«
    »Das tut er, Raphaël.«
    »Ich weiß. Ich höre ihn, nachts.«
    Adamsberg zog seine Jacke über und setzte sich wieder neben seinen Bruder.
    »Glaubst du, wir werden ihn herauskriegen?«
    »Wenn es ihn wirklich gibt, Jean-Baptiste. Wenn nicht wir es sind.«
    »Es gibt nur zwei Leute, die daran glauben. Ein etwas einfältiger Sergent und eine etwas verschrobene alte Frau.«
    »Und Violette.«
    »Ich weiß nicht, ob Retancourt mir aus Pflichtgefühl oder aus Überzeugung hilft.«
    »Unwichtig, folge ihr. Sie ist eine wundervolle Frau.«
    »In welchem Sinne denn? Findest du sie etwa schön?« fragte Adamsberg überrascht.
    »Schön auch, ja, natürlich.«
    »Und ihr Plan? Glaubst du, er wird funktionieren?«
    Als er diesen Satz murmelte, war ihm plötzlich, als wäre er wieder ganz jung und hockte neben seinem Bruder in einer Gebirgsfalte beim Aushecken einer ihrer Schandtaten. In die Torque tauchen, so tief es geht, sich an der Krämersfrau rächen für ihre Habsucht, Hörner in die Tür des Richters ritzen, nachts von zu Hause abhauen, ohne jemanden zu wecken.
    Raphaël zögerte.
    »Wenn Violette dein Gewicht aushält.«
    Die zwei Brüder gaben sich die Hand, mit verknoteten Daumen, wie sie es als Kinder immer getan hatten, bevor sie in die Torque sprangen.

36
     
    Auf dem Rückweg wechselten Adamsberg und Retancourt sich beim Fahren ab, den Wagen von Lafrance und Ladouceur immer im Gefolge. Der Kommissar weckte Retancourt, als Gatineau in Sicht kam. Er hatte sie so lange wie möglich schlafen lassen, so sehr befürchtete er, sie könne unter seinem Gewicht zusammenbrechen.
    »Sind Sie sicher«, sagte er, »daß dieser Basile mich bei sich aufnehmen wird? Ich komme immerhin vor Ihnen an.«
    »Ich werde ihm Bescheid sagen. Sie erklären ihm, daß Sie mein Vorgesetzter sind und daß ich Sie schicke. Von dort aus werden wir Danglard anrufen, um uns so schnell wie möglich falsche Papiere zu beschaffen.«
    »Nicht Danglard. Setzen Sie sich unter keinen Umständen mit ihm in Verbindung.«
    »Und wieso nicht?«
    »Niemand außer ihm wußte, daß ich das Gedächtnis verloren hatte.«
    »Danglard ist der treueste unter den Getreuen«, sagte Retancourt schockiert. »Er ist Ihnen ergeben, er hätte nicht einen Grund, Sie bei Laliberté zu verpfeifen.«
    »Doch, Retancourt. Seit einem Jahr grollt mir Danglard. Wie sehr, weiß ich nicht.«
    »Wegen dieser Geschichte mit Camille?«
    »Woher haben Sie das?«
    »Getuschel im Gerüchtezimmer. Der Raum ist ein wahrer Brutkasten, da entsteht alles, da gedeiht alles. Zuweilen sogar gute Ideen. Aber Danglard tuschelt nicht. Der ist loyal.«
    Der Lieutenant runzelte die Stirn.
    »Da bin ich mir nicht sicher«, sagte Adamsberg. »Aber rufen Sie ihn nicht an.«
     
    Um sieben Uhr fünfundvierzig war Adamsbergs Zimmer geräumt, und der Kommissar, in Unterhose und mit seinen beiden Uhren, ließ sich von Retancourt die Haare schneiden. Sie legte die Strähnen sorgsam ins Toilettenbecken, um keine Spuren zu hinterlassen.
    »Wo haben Sie denn gelernt, Haare zu schneiden?«
    »Bei einem Friseur, bevor ich mich dann mit Massage beschäftigt habe.«
    Retancourt mußte wohl mehrere Leben gelebt haben, sagte sich Adamsberg. Beruhigt durch ihre behenden Gesten und das gleichmäßige Geräusch der Schere, ließ er sich den Kopf in alle Richtungen drehen. Um zehn nach acht führte sie ihn vor den Spiegel.
    »Genau sein Haarschnitt, oder?« fragte sie mit der Begeisterung eines jungen Mädchens, das gerade eine Prüfung bestanden hat.
    Genau. Raphaël hatte kürzeres Haar als er, das am Hinterkopf ordentlich gestuft war. Adamsberg fand sich verändert, ernsthafter und anständiger. Ja, wenn er dann noch einen Anzug mit Schlips trüge auf den paar

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