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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
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jeder nur ein paar Minuten zuhören durfte. Der Musikgenuss, berichtete damals das Polytechnische Journal , sei ein »vollkommen befriedigender« gewesen.
    Kein Wunder, hatten sich die Ingenieure doch etwas ganz besonders Ausgefuchstes ausgedacht: Anders als beim Grammofon sollte man bei der telefonischen Musikübertragung auch den räumlichen Eindruck der Musik übermittelt bekommen. Man vermutet, dass diese neue Technik, die man später Stereofonie oder kurz Stereo nennen sollte, zum ersten Mal im Londoner Hotel Bristol zum Einsatz kam: »Im Hotel waren 7 Sätze zu je 8 Telephonen aufgestellt; jeder Hörer bekam zwei Telephone, von denen das eine mit dem links von der Bühne, das andere mit dem rechts von ihr aufgestellten Mikrophon verbunden war.«
    Mit ähnlichen Aufbauten hatte man auch schon in Paris experimentiert. Im Herbst des Folgejahres versuchten die Tüftler anlässlich der Electricitätsausstellung von München, das Ganze noch zu toppen: Nicht genug damit, dass hier zeitparallel mehrere Hörräume mit Musikübertragungen beschickt wurden. Jetzt kamen sie auch noch von unterschiedlichen Orten, nämlich aus Tutzing und Oberammergau – die erste Liveübertragung eines Konzertes über satte 100 Kilometer.
    Quantität würde also keinen mehr hinter dem Ofen hervorlocken, befanden die Organisatoren der nächsten großen E-Show in Wien im Jahr 1883 – und schraubten an der Qualität der Übertragung. Nicht mehr nur zwei Mikrofone am Bühnenrand bildeten die Musik ab, sondern ganze 12, die man über die gesamte Breite der Bühne arrangiert hatte. Schon in den folgenden zwei Jahren sollte es Aufbauten mit bis zu 36 Mikrofonen geben.
    Das öffentliche Interesse war mittlerweile also mehr als nur geweckt: Die Nachfrage nach solchen Formen des Entertainments war da – und sie befeuerte wiederum die Nachfrage nach dem Telefon. Im September 1884, drei Jahre, bevor Edward Bellamy all diese Experimente zu Ende dachte und seine Vision des telefonischen Home-Entertainment zu Papier brachte, folgte der letzte Beweis dafür, dass man für den Telefon-Musikdienst keine eigene Infrastruktur würde schaffen müssen. Genau wie für das Telefonieren würde man auch für die Verbreitung von Musik die Telegrafendrähte nutzen – und zwar gleichzeitig mit dem Versenden von Morse-Nachrichten. Der belgische Ingenieur F. van Rysselberghe demonstrierte das erfolgreich auf der E-Ausstellung in Antwerpen. Die technischen Voraussetzungen schienen demnach gegeben, richtig durchzustarten mit dem Massen-Entertainment.
    Zugleich begann sich die Infrastruktur weit schneller zu verbreiten, als noch fünf Jahre zuvor vermutet. 1889 gelang in den USA die Übertragung eines Live-Konzerts über eine Ferngesprächs-Leitung. Nicht nur 80 Mikrofone wurden eingesetzt, sondern beim Empfänger erstmals auch Lautsprecher statt Telefonhörer: Eine Sensation, die kurz darauf für die Mitglieder eines Kongressausschusses wiederholt werden und der Verbreitung der Telefontechnik weiteren Schub verleihen sollte.
    Sieben Jahre nachdem das Polytechnische Journal die Zahl der Privatanschlüsse bei 5000 weltweit ansetzte, zählte man in den USA bereits über 200.000, Tendenz rasant steigend. Fast 70.000 Kilometer Telefonleitungen verbanden inzwischen rund zwei Dutzend US-Großstädte auch miteinander. Mit Lautsprechern wiedergegebene Musikübertragungen auf Galadinners in Hotels und weiterhin auf Messen und Kongressen entfachten schließlich eine wahre Telefon-Euphorie. Alles ging mit einem Mal ganz schnell, denn auch die Geschäftsleute begannen den Nutzen der neuen Technik zu begreifen. Bereits 1889, so die New York Times, gelang es erstmals, die Vorstandssitzung eines großen Unternehmens als Telekonferenz durchzuführen – wenngleich es dieses Wort dafür natürlich noch nicht gab.
    Was es allerdings schon gab, waren ähnliche Erfahrungen auf einer anderen Ebene: Im Juni 1897 berichtete die Fachzeitschrift Electrical Review von einer kuriosen Mode in der rund 150 Kilometer westlich von New Orleans gelegenen Stadt Mobile, Alabama, wo man »Telephone Partys« organisierte, bei denen die Teilnehmer miteinander plaudern konnten, »als wären sie in einem Raum«. Wieder einmal liegt die Erfindung einer Spaßanwendung (in diesem Fall eine Art Chatroom) vor der Einführung der ernsthaften Variante.
    »Die Wissenschaft vom Telefon«, kommentierte die New York Times am 9. Oktober 1890, »macht dieser Tage riesige Fortschritte. ( …) Möglichkeiten entwickeln sich
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