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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
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vorhanden. Auch die Apparate hatten sich verändert, waren nun so leicht zu bedienen, dass dies »jeder Vierjährige« könne, wie die US-Fachzeitschrift Telephony in einer Ausgabe von 1908 argumentierte: »Die Kinder weinen, weil sie eines wollen.«
    Immer mehr Interessenten konnten sich das leisten – wobei man hier keineswegs von Massen sprechen kann. Der Abopreis des Londoner Electrophone-Services – ein Klon des Pariser Theatrophon – fiel von 1895 bis 1901 auf etwas weniger als ein Viertel seiner ursprünglichen Höhe. Trotzdem blieben solche Angebote gerade in England natürlich der privilegierten, vermögenden Klasse vorbehalten: Auf die heutige Zeit übertragen kostete der Londoner Service 1901 circa 320 Euro im Jahr, 1895 hatten die Betreiber noch umgerechnet rund 1300 Euro pro Jahr verlangt.
    Geldwerte sind jedoch relativ. Der jährliche Abopreis von fünf Pfund entsprach etwa drei Monatslöhnen eines Hausdieners. Und das zusätzlich zu den 20 Pfund, die allein der Telefonanschluss kostete. Wer also auf ein Telefon plus Bespaßungsprogramm verzichtete, konnte sich für das gleiche Geld einen Diener leisten. Das ist in etwa so, als kostete uns der Vertrag für das iPhone heute gut 40.000 Euro im Jahr (Versicherung und Sozialabgaben inklusive).
    Man kann sich vorstellen, wie hoch der Prestigewert solcher Services gewesen sein muss. Wollte man bei seinen Besuchern damit angeben, musste man sogar noch tiefer in die Tasche greifen: Im Abopreis inbegriffen waren zwei Hörsets (der Kopfhörer war noch nicht erfunden, man lauschte beidhändig), für jedes weitere Set zahlte man zusätzlich ein Pfund pro Monat.
    Zumindest das private Telefon blieb also ein teurer Spaß. Es sollte noch rund 50 Jahre dauern, bis es in Angestellten-und Arbeiterhaushalten in nennenswerter Zahl Einzug hielt – in Deutschland sogar bis zu den 1970er Jahren. Trotzdem: Auf über 2000 Abonnenten kam der Londoner Service schon Anfang des 20. Jahrhunderts, eine enorme Zahl für die damalige Zeit. Wer Geld hatte, leistete sich offenbar ein Telefon – und das Entertainment-Paket dazu.
    Weiterhin waren Hörsäle im öffentlichen Raum die effektivste Werbung für die Musikdienste. Wie in Paris gab es auch in London, Birmingham und Manchester öffentliche Entertainment-Boxen mit Münzeinwurf. Electrophone begann 1901 zudem damit, Krankenhäuser kostenfrei mit seinen Apparaten auszurüsten. Patienten, die sich einmal daran gewöhnt hatten, so das Kalkül, würden das Programm auch Zuhause nicht mehr missen wollen.

Spätstart in den USA
    Das hatten zahlreiche Fachleute und Journalisten auch für die USA erwartet. Bellamys Looking Backward hatte die Idee des Telefon-Entertainment-Service dort schließlich äußerst populär gemacht. Experimentelle und Event-gebundene Dienste hatte es bereits genug gegeben. In kaum einem anderen Land war das öffentliche Interesse am Thema lebhafter, wurde mehr darüber berichtet. Doch egal in wie vielen Artikeln die Experten beschworen, wie nötig Amerika ein solches Nachrichten-und Unterhaltungssystem habe, es preschte niemand vor. Die ökonomische Seite des Ganzen war einfach zu schwierig: Nicht nur Amerikas Geografie, sondern vor allem eine völlig andere Sozialstruktur bremsten die Entwicklung. Es existierte schlicht nicht genügend Nachfrage nach einem kostenpflichtigen Draht-Radio für finanziell Privilegierte. Musik per Telefon war für viele interessant, aber für viel zu wenige auch finanzierbar. Erst mussten die Preise weiter fallen.
    1906 versuchte James F. Land in Detroit, dem europäischen Beispiel nachzueifern. Er war sich so sicher, dass das Hirmondó-Konzept auch in den USA greifen würde, dass er seinen Job im Management der größten Telefonfirma von Michigan aufgab, um seinen persönlichen Telefon-Entertainment-Traum wahr zu machen. Er scheiterte, 1909 war er pleite, und seine Firma »Tellevent«, die es nie über Ankündigungen und Demonstrationen hinaus gebracht hatte, verschwand von der Bildfläche.
    Stimmkräftig: 1920 sang die Sopranistin Nellie Melba über das neu erfundene Radio so mächtig, das die Behörden die Übertragung wegen Interferenzen mit anderen Sendern abbrachen
    Eine erste große Telefon-Zeitung mit eigener Redaktion, live vorgetragenen Nachrichten und Gastkünstlern, die im Studio Arien sangen, entstand bald darauf im Januar 1910 als Ausgründung des einflussreichen New York Herald , dessen Auslandsausgabe bis heute unter dem Titel International Herald Tribune
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