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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
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billiger als die Teilnahme an den übertragenen Events. Dadurch konnten erstmalig solche Leute in derartige Veranstaltungen hineinlauschen, die sich den Eintritt nicht oder nur selten leisten konnten, was manchen Fachmann ganz besonders zum Schwärmen brachte. Der britische Journalist Arthur Mee etwa widmete dem »Pleasure Telephone« im journalistisch-literarischen The Strand Magazine – berühmt als Publikationsplattform, die Conan Doyles Sherlock-Holmes-Storys populär gemacht hatte – vom September 1898 einen wahren Lobgesang: Selbst Edward Bellamy, der in Looking Backward doch solch spektakuläre musikalische Telefondienstleistungen erträumt habe, müsse wohl verblüfft darüber sein, in welchem Maße die Realität seine Visionen überholen werde, noch »bevor die Morgenröte des 20. Jahrhunderts anbricht«. Mees Begeisterung wurde vor allem vom Telefon Hirmondó und nicht so sehr vom entertainmentzentrierten Theatrophon aus Paris geweckt.
    Denn obwohl Theater-und Konzertübertragungen attraktiv schienen, war es der freie Zugang zu Nachrichten und Wissen bis hin zu den Börsenkursen und Pferderennbahn-Ergebnissen, dem er höchste Wichtigkeit beimaß. Mee schrieb:
    Es wird Millionen froh machen, die nie zuvor froh waren, und es wird viele der sozialen Luxusgüter der Reichen demokratisieren, wenn man das so sagen kann. Diejenigen, denen das Umfeld der Bühne nicht genehm ist, können das Theater zu Hause genießen, und auf populäre Konzerte werden sich die Armen in gleicher Weise freuen wie ihre reichen Nachbarn. Die bescheidenste Hütte wird der Stadt nah sein, und die private Leitung wird alle Klassen zu Verwandten machen.
    Man ist versucht, sich eine Träne der Rührung aus dem Augenwinkel zu tupfen. Doch Zynismus beiseite: Wir wissen heute, dass das Telefon die Menschheit nicht zu einer Familie egalitär gebildeter Freunde und Brüder gemacht hat. Diese Euphorie und Hoffnung ist uns bestens bekannt. Sie erinnert an die orgiastischen, oft mit quasi religiösem Eifer verbundenen Lobgesänge auf die demokratisierende Kraft des Internets, das das Wissen der Welt erschließen soll, die wir seit 1995 hören.
    Die gleiche hoffnungsvolle Vision hatte man für das Medium, das Ende der 1920er Jahre die Telefon-Entertainment- und Nachrichtenprogramme verdrängte – das Radio. »Der Rundfunk«, hatte dazu Bertold Brecht geschrieben, »wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.«
    Das ist einerseits eine ähnlich schwärmerische Utopie wie Mee sie 1898 äußerte. Andererseits liegt ihr die Erkenntnis zugrunde, dass die Dinge durchaus nicht so sind, sondern so sein könnten, wenn man die Technik anders einsetzte. Brecht hatte auch Folgendes geschrieben:
    Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen. [ …] Ein Mann, der was zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm daran. Noch schlimmer sind Zuhörer daran, die keinen finden, der ihnen etwas zu sagen hat.
    Und nein: Brecht kannte Twitter nicht.
    UHR WECKT SCHLÄFER MIT MUSIK
    D er heftige Hass, den die Menschheit vor allem in den Stunden des frühen Morgens für den Wecker hegt, mag von einer neuen Erfindung gemildert werden, die ihn mit einem Phonographen kombiniert und den Schläfer mit der Musik seines Lieblingsorchesters oder -sängers weckt.
    Sowohl Phonograph als auch Wecker sind in einem Kasten von der Größe einer Kamera enthalten, und die Stunde für die morgendliche Serenade wird wie bei jedem Wecker über einen Knopf eingestellt. Wird er nicht gebraucht, klappt man den Kasten zu und hat dann einen hübschen und attraktiven Schmuck für den Tisch oder das Kaminsims.
    ( Modern Mechanics , Oktober 1931)

    Phonograph mit eingebautem Wecker: Modernste Technik, elegantes Design – was will man mehr am frühen Morgen?

Klasse statt Masse: Was der Spaß kostete
    Neben den großen, weltweit für Schlagzeilen sorgenden Musikdiensten mit umfassendem Live-Programm entstanden nach dem Jahrhundertwechsel immer mehr lokale Angebote, die mit niedrigerem Aufwand versuchten, am Boom des Telefon-Entertainment mitzuverdienen. Die Infrastruktur, gewachsen über mittlerweile satte 20 Jahre, war
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