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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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die er fast sechzig Jahre lang für sich behalten hatte. Sie war eine holländische Krankenschwester gewesen, erklärte er, die er zum letzten Mal am 20. September 1944 auf Ginkel Heath gesehen hatte. Später wurde ihm gesagt, sie sei in dem Chaos der Schlacht bei Arnheim umgekommen, zusammen mit den Mitgliedern der South Stafford Brigade, die sie betreut hatte. Das hatte er geglaubt, bis sie fünfzehn Jahre später wieder auftauchte; als frischgebackene Witwe eines belgischen Chirurgen, die inzwischen in einem Waisenhaus in Sulawesi arbeitete.
    Toby sah an Henrick vorbei ins Tal hinunter, wo die blaßrosafarbenen Kolonnaden von Queen’s House leuchteten wie die Innenseite einer Muschel. Langsam dämmerte ihm, daß sein Vater während der meisten Zeit, die seine Eltern verheiratet gewesen waren, auf der Stelle getreten war. Einen Monat nach der Unterhaltung verkaufte Henrick das Anwesen in Surrey, überwies weitere zwei Millionen Pfund an seinen Sohn und ging nach Indonesien.

    Nachdem sein Vater im Ausland war und er noch mehr Geld hatte, geriet Toby immer mehr auf Abwege: Er ließ sich nur noch selten in seinem Büro in Sevenoaks sehen. Die einzige Gelegenheit, bei der er jetzt noch einen Geschäftsanzug trug, war für die Komiteesitzungen im St. Dunstan. Die übrige Zeit rasierte er sich nicht und kleidete sich, als hätte er ständig Ferien, in Leinenanzüge, teure Hemden mit hochgekrempelten Ärmeln und trug Espadrillos oder Kalbslederschuhe an den bloßen Füßen. Das Opium und später das Kokain und Heroin taten ihre Wirkung; sie unterdrückten seine schlimmsten Neigungen, sie dämpften und beruhigten und hinterließen keine Anzeichen von physischen Schäden. Er achtete darauf, keine allzu große Menge in Crooms Hill zu lagern, und benutzte die verschwiegene kleine Wohnung in Lewisham als Bunker. Keiner seiner Bekannten kannte die Adresse, und er konnte sie unbemerkt aufsuchen und seine Vorräte auffrischen.
    Fast zehn Jahre lang schaffte er es, sein Leben einigermaßen unter Kontrolle zu halten.
    In den späten neunziger Jahren jedoch hatten die Parties eine andere Wendung genommen, eine neue Bedenkenlosigkeit war hinzugekommen. Nun wurde zusammen mit gekühltem Champagner und Wodka auch Kokain serviert, das in japanischen Miso-Schüsseln mit Weidenmuster gereicht wurde. Mädchen, die er in Mayfair-Clubs kennengelernt hatte, lehnten schlaff an den Wänden, rauchten St.-Moritz-Zigaretten und zupften an den Säumen ihrer Miniröcke. Seine Drogen besorgte er sich nun in näherer Umgebung und benutzte ein Netzwerk von Kontakten, das ihm die entsprechenden Quellen eröffnete. Einige seiner alten Bekannten blieben, aber sie waren bald hoffnungslos in der Minderzahl im Verhältnis zu der neuen Art seiner Gäste; den Mädchen und ihrem Anhang.
    »Das ist irre, nicht?« sagte eines zu Harteveld, das sich, kurzzeitig von einem Heroinschuß erfrischt, auf den Walnußlehnstuhl in der Bibliothek niederließ.
    »Wie bitte?« Er sah mit vernebeltem Blick auf. »Wie bitte?«

    »Ich sagte, daß es irre ist, nicht?« Sie war ein großes, ruhiges Mädchen Mitte Zwanzig mit zartem Knochenbau, lang herabfallendem kastanienfarbenen Haar und langen, schlanken Beinen. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie wirkte hier seltsam fehl am Platz mit ihrem verschmierten Make-up, dem zugeknöpften grauen Wollkleid und den flachen Schuhen.
    Ist sie wirklich eines der Mädchen? Wirklich?
    »Ja«, sagte er zögernd. »Ja, wahrscheinlich, wahrscheinlich ist es das.«
    »So was habe ich noch nie gesehen. Offensichtlich verteilt der Typ, der die Party schmeißt, Drogen an die Leute. Man braucht bloß ins Badezimmer zu gehen, und da ist er und verteilt das Zeug wie Bonbons. Er setzt einem sogar den Schuß, wenn man ein bißchen ängstlich ist …«
    Harteveld sah sie ungläubig an. »Wissen Sie, wer ich bin?«
    »Nein. Sollte ich?«
    »Mein Name ist Toby Harteveld. Das ist mein Haus.«
    »Ah.« Sie lächelte ungerührt. »Sie sind also Toby. Nun, Toby, freut mich, Sie endlich kennenzulernen. Sie haben ein wundervolles Haus. Und dieser Patrick Heron auf dem Treppenabsatz, ist das ein Original?«
    »Natürlich.«
    »Es ist wundervoll.«
    »Danke. Aber…« Mit aller Kraft stemmte er sich aus dem Stuhl hoch und streckte zitternd die Hand aus. »Was das Heroin betrifft: Ich schätze, eine Einladung zur Teilnahme würde nicht auf Ablehnung stoßen?«
    »Nein…« Sie schüttelte den Kopf, immer noch lächelnd. »Danke, aber ich vertrage keine

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