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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Auf dem Gepäckträger war eine lederne Aktentasche mit abgenutzten Leinwandbändern festgeschnallt.
    Jack steckte die Hände in die Taschen. »Ist das eine zufällige Begegnung?«
    »Nicht ganz.« Von dem Fliederbusch über ihr fielen Tropfen
auf ihren Pullover, die kleine dunkle Flecken hinterließen. »Ich gehe immer wieder in das Pub, wissen Sie, und habe mich gefragt  – ich hab’ Sie herauskommen sehen.«
    »Ich verstehe.« Er merkte, daß sie ihm etwas sagen wollte. »Haben Sie sich an etwas erinnert?«
    »Nun, ja…« Ihr Mund verzog sich entschuldigend. »Aber es ist wahrscheinlich nichts. Wahrscheinlich vergeude ich nur Ihre Zeit.« Starke weiße Nägel bohrten sich in die winzigen Nähte der Leinwandbänder. Er hatte vergessen, wie hübsch sie war.
    »Das glaube ich kaum.«
    »Also gut«, sagte sie, argwöhnisch, darauf gefaßt, ausgelacht zu werden. »Mir ist etwas über Petra eingefallen.«
    »Was?«
    »Manchmal, wenn ich einschlafe, Sie wissen doch, genau bevor man völlig wegtaucht, in dem Moment, wenn alle Träume aus der Nacht zuvor wiederkommen?«
    »Ja.« Caffery kannte das nur zu gut. Es war der Moment, in dem er oft Ewan und Penderecki traf.
    »Ich bin sicher, daß es nicht wichtig ist, aber letzte Nacht war ich schon halb im Traum, da erinnerte ich mich, daß Petra mir gesagt hat, sie sei allergisch gegen Make-up. Sie trug nie welches. Sie können es auf meinen Bildern sehen. Sie war immer blaß.« Die Sonne brach durch die Wolkendecke und warf den scharfen Schatten von Rebeccas Augenlidern über die grüngoldene Iris. »Diese Fotos in Ihrer Aktentasche, sie sah – wie eine Puppe aus. Ich habe schon mehr Tote gesehen, und die sahen echter aus als sie.«
    »Es tut mir leid, daß Sie das gesehen haben.«
    »Es muß Ihnen nicht leid tun.«
    »Rebecca.«
    »Ja?« Sie neigte den Kopf zur Seite und sah ihn an. Ein Regentropfen fiel aus dem Baum auf ihre Wange. »Was ist?«
    »Warum haben Sie mir nichts von Gemini erzählt?«
    »Was ist mit ihm?«

    »Er ist an dem Tag mit Shellene weggegangen. Warum haben Sie das nicht gesagt?«
    Sie verschränkte die Arme unter den kleinen Brüsten und sah auf ihre Füße. »Warum glauben Sie, daß ich nichts gesagt habe?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Stellen Sie sich nicht dumm. Er handelt mit Drogen; er verkauft an Joni, deshalb.«
    »Ach Gott.« Caffery schüttelte frustriert den Kopf. »Also, wissen Sie, Rebecca, wissen Sie eigentlich, wie ernst das ist?«
    »Natürlich weiß ich das. Glauben Sie, ich hätte etwas anderes gedacht?« Sie biß sich auf die Lippe. »Gemini hat nichts damit zu tun.«
    »Schon gut, schon gut.« Er rieb sich die Stirn. »Ich glaube, Sie haben recht. Aber das Problem ist, daß ich mit meiner Meinung allein stehe. Alle, die etwas zu sagen haben, finden, daß Gemini genau der Typ ist, nach dem sie suchen müssen. Er steckt in Schwierigkeiten, Rebecca, in echten, wirklichen Schwierigkeiten.«
    »Er war es nicht. Ich weiß nicht, wie Sie nur auf den Gedanken kommen können …«
    »Ich komme ja nicht darauf! Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt. Ich glaube nicht, daß er es war! «
    »Himmel.« Sie drehte die Lenkstange von ihm weg und war plötzlich ganz geknickt. »Kein Grund, deswegen grob zu werden.«
    »Rebecca, hören Sie.« Er hatte sich wieder beruhigt und kam sich plötzlich albern vor. »Es tut mir leid. Ich brauche, ich bräuchte ein bißchen Hilfe. Ich brauche jemanden, der offen zu mir ist, bei dem ich zur Abwechslung mal entspannen kann.«
    »Ach, um Himmels willen«, murmelte sie. »Wir alle brauchen Entspannung. Und Sie werden dafür bezahlt, den Fall aufzuklären.«
    »Rebecca…«
    Aber sie sah nicht zurück. Sie radelte davon, der Pullover
rutschte von der braunen Schulter, und Caffery blieb ein paar Minuten ärgerlich und verwirrt auf dem Gehsteig stehen und behielt genau die Stelle im Auge, an der sie von der Stadt verschluckt wurde.

21. KAPITEL
    H artevelds Mutter, die es nicht geschafft hatte, die empfohlenen zwanzig Pfund abzunehmen, erlitt 1985 einen zweiten Herzinfarkt. Der brachte unkontrollierbare Rhythmusstörungen mit sich, die nach dreißig Minuten zum Tod führten. Nach der Beerdigung kam Henrick mit nach Greenwich, und sie spazierten zusammen durch den Park.
    Im Schatten von Henry Moores »Stehender Figur« blieb Henrick stehen. Unvermittelt wandte er sich seinem Sohn zu und begann leise, in seinem starken gelderländischen Akzent die Geschichte zu erzählen,

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