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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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unruhig wie ein dicker Kokon. Sie war sehr pummelig und trug ein kurzes, babyblaues Kleid. Auf ihrem Bizeps war eine Tätowierung, die aussah, als wäre sie durch die Haut gesickert, und weißliche Schleimfäden überzogen ihren Mund.
    Amüsiert von ihrem Anblick, stützte er den Ellbogen auf den Flügel und beugte sich vor, um sie zu betrachten. »Hallo, du. Wie heißt du?«
    Ihre Augen rollten herum und versuchten, sich auf die Richtung einzustellen, aus der die Stimme kam. Ihr Mund öffnete sich zweimal, bevor sie etwas herausbekam. »Sharon Dawn McCabe.« Mit diesen drei Worten hatte sie sich als Kind aus den Gorbals zu erkennen gegeben.
    »Du weißt, daß du völlig bedröhnt bist, oder?«
    Sie hustete einmal auf und nickte mit geschlossenen Augen. »Ah, weiß ich.«
    Also trug er die arme, dicke Sharon in sein Schlafzimmer, zog sie im Dunkeln aus und legte sie ins Bett. Er fickte sie sehr schnell und still, ohne Emotionen, und hielt von hinten ihre kalten Brüste fest. Sie bewegte sich nicht und gab keinen Laut von sich. Unten ging die Party zu Ende, er hörte, wie der Lieferservice die Gläser abräumte. Draußen schwirrten Schneeflocken an den Fenstern vorbei.
    Neben ihm begann Sharon Dawn McCabe laut zu schnarchen; er fickte sie noch einmal, sie war zu betrunken, um das zu bemerken, vermutete er, und schlief ein.

     
    Er träumte, er befände sich an jenem Wintertag wieder im Anatomielabor der UMDS, hockte geduckt am Boden und sähe in panischer Erregung zu, wie der fette Wachmann mit weicher, weißer Hand seine stummelhafte Erektion vergrößerte und, auf Zehenspitzen vor einem Sektionstisch stehend, mit einem Ausdruck angespannter Konzentration im Gesicht, die Hüften der leblosen Frau herumschob, um sie an sich heranzuziehen.
    Harteveld hielt es nicht länger aus, er stieß mit einem leichten Stöhnen die angehaltene Luft aus.
    Der Wachmann hielt inne, erstarrte in dem schwindenden Licht, und seine Blicke schossen herum, als er zu erspähen versuchte, wer ihn beobachtete. Er war nicht groß, aber für Harteveld, der auf dem Boden kauerte, erschien er wie ein Koloß, der den Horizont verdunkelte. Seine Augen waren naß und kalt.
    Es hätte eine Möglichkeit geben müssen aufzustehen, zu protestieren, sich von dem Bild zu befreien, aber Harteveld war starr vor Angst. Und in der Sekunde, als er beschloß, sich nicht zu rühren, erkannte der Wachmann, über dessen Stirn der Schweiß lief, daß der dünne Medizinstudent in seinem Laborkittel hier in der Dunkelheit darauf gewartet hatte, allein zu sein und genau das zu tun, was er tat.
    Die Luft schien zu flimmern während dieses Augenblicks. Dann lächelte der Wachmann.
     
    Jahre später erwachte Harteveld in seinem Haus in Greenwich und wimmerte wie ein Tier, als ihm, heiß vor Erregung, das Bild wieder vor Augen trat. Es war noch immer dunkel in dem Zimmer, nur ein dünner Mondstrahl drang durch die Vorhangspalten. Schweißbedeckt starrte er an die Decke, lauschte, wie sein Herzschlag langsamer wurde und wartete, daß seine Gedanken sich beruhigten.
    Ich verstehe, hatte das Lächeln gesagt. Ich bin wie du, die Unmenschlichen und Kranken können sich nicht lange voneinander fernhalten. Sie werden sich begegnen.

    Harteveld strich sich durchs Haar und stöhnte. Er rollte auf die Seite, sah, wer neben ihm auf dem Kissen lag, und mußte sich die Finger in den Mund stecken, um den Schrei zu unterdrücken, der sich ihm entringen wollte.

22. KAPITEL
    S haron Dawn McCabe lag weniger als dreißig Zentimeter von ihm entfernt mit offenen Augen auf dem Rücken. Mit Blut vermischter Schaum quoll ihr aus Nase und Mund und tropfte in schleimigen Spuren über Kinn und Hals.
    »O mein Gott«, flüsterte Harteveld von Furcht ergriffen. »Ach du lieber Gott, was zum Teufel hast du dir angetan?« Er schob die Hand unter die Laken und tastete nach ihrem Puls.
    Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte vier Uhr sechsundvierzig morgens.
    Mit klopfendem Herzen eilte er ins Badezimmer und füllte das Waschbecken mit kaltem Wasser. Er tauchte das Gesicht ein, bis ihm das Wasser um den Hals schwappte.
    Er zählte bis zwanzig.
    Die ganze Zurückhaltung, der stete Drang der Begierde, der Tage zu Wochen und Wochen zu Jahren werden ließ, und jetzt, nach all den Qualen dies , diese teuflische Verlockung des Schicksals, die in Form des stillen, bleichen Mädchens in seinem Bett lag. Genau, was er sich all die Jahre ersehnt hatte, das einzige, was er von den Mädchen nicht bekommen konnte, ganz

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