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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Drogen. Ich würde bloß kotzen oder sonst was Schreckliches tun.«
    »Na schön. Einen Schnaps vielleicht? In der Orangerie? Dort hängt ein Bild von, warten Sie, von Frida Kahlo. Ich glaube, das würde Sie interessieren.«
    »Von Frida Kahlo? Sie machen Scherze, nicht wahr. Natürlich interessiert mich das.«

    Die Orangerie, die sich hinten ans Haus anschloß, war kalt. Mangofarbene Lichtbündel fielen von der Party auf die in Pflanzkübeln stehenden Bäume, die dichte graue Schatten auf den Steinboden warfen. Hier drinnen roch es nach Dünger und kalter Erde, die Stimmen der Gäste waren nur gedämpft zu hören. Harteveld kratzte sich die Arme, seine Gedanken schweiften ab. Warum waren sie hier? Was wollte er eigentlich?
    Den lebendigen blauen Saft ihrer Adern, Toby, abgefüllt und gefroren. Ihr Haar naß und aus der Stirn zurückgestrichen.
    Das Mädchen drehte sich um und sah zu ihm auf. »Nun?«
    »Wie bitte?«
    »Das Bild? Wo ist es?«
    »Das Bild«, wiederholte er.
    »Ja. Das Frida-Kahlo-Bild?«
    »O das …« Harteveld kratzte sich am Bauch und sah auf ihr sanft gerundetes Gesicht hinab. »Nein, ich habe mich getäuscht. Es ist nicht in der Orangerie. Es hängt im Arbeitszimmer.«
    »Ach, zum Teufel.« Sie wandte sich zum Gehen, aber er packte ihren Arm.
    »Hör zu, du mußt etwas für mich tun. Gewöhnlich …« Seine Gedanken rasten. »Gewöhnlich gebe ich zweihundert, aber bei dir würde ich dreihundert zahlen.«
    Sie sah ihn ungläubig an. »Ich bin nicht in diesem Gewerbe, tut mir leid. Ich bin mit meiner Mitbewohnerin gekommen. Das ist alles.«
    »Komm schon!« sagte er, plötzlich beunruhigt von ihrer Ablehnung. »Vierhundert, du kriegst vierhundert. Du mußt dich nicht anstrengen bei mir, du mußt bloß stillhalten, das ist alles. Ich brauche …«
    »Ich sagte doch, daß ich das nicht tue.«
    »Ich brauche nicht lange.« Er packte fester zu. »Wenn du stillhältst, bin ich in ein paar Minuten fertig. Komm!«
    »Ich habe nein gesagt!« Sie schüttelte den Arm, um sich zu befreien. »Jetzt lassen Sie schon los, oder ich schreie.«
    »Bitte –«

    »NEIN!!«
    Harteveld, der von dem plötzlichen Befehlston in ihrer Stimme schockiert war, ließ ihren Arm fallen und trat einen Schritt zurück. Aber das Mädchen war wütend geworden, sie ließ es nicht dabei bewenden. Sie paßte sich seiner Bewegung an und ging wie eine Furie auf ihn los.
    »Ist mir ganz egal.« Sie holte aus und erwischte ihn mit ihren scharfen rosafarbenen Nägeln unterm Kinn. Blut floß. »Wer zum Teufel sind Sie?«
    »Mist.« Verblüfft von ihrer plötzlichen Gewalttätigkeit, griff er sich an den Hals. »Mist, was hast du getan, warum hast du das getan ?«
    »Damit Sie lernen, ein Nein als Antwort zu akzeptieren.« Sie drehte sich auf dem Absatz um. »Verstanden?«
    »Du!« schrie er ihr nach, die Hand an den Hals gedrückt. »Du hörst mir zu, du kleines Miststück! Du bist in diesem Haus nicht willkommen. Verstanden?« Aber ihre weichen schwarzen Pumps entfernten sich auf dem Steinboden. Selbstgefällig, eigenständig. »Du kommst her und nutzt meine Gastfreundschaft aus, meinen Wein, meine Drogen, und tust mir das an, du blöde Kuh. Du bist nicht mehr willkommen !«
    Aber sie war fort, und als er die Hände wegzog und die dunklen Striemen untersuchte, wußte er, daß ihm die Kontrolle zu entgleiten begann, daß das Unheil bis dicht unter die Oberfläche gedrungen war.
     
    Er kehrte nicht zur Party zurück. Die Putzfrau fand ihn am nächsten Tag auf einem Sofa zusammengerollt, wohin er sich in den frühen Morgenstunden geschleppt hatte, seine Hände waren über dem Kopf gefaltet, Tränen rannen ihm übers Gesicht, und Blut verkrustete seinen Kragen. Sie sagte nichts, riß die Fenster auf und räumte geräuschvoll die Aschenbecher weg.
    Später brachte sie ihm Kaffee, geschnittenes Obst und ein Glas Perrier, sie stellte das Tablett auf den Tisch aus Carrara-Marmor und sah ihn mitleidvoll an. Harteveld drehte sich um
und schnupperte die frische Luft, die durch die Fenster drang. Sie roch nach Winter, nach Wolken und Schnee. Und nach etwas anderem. Nach etwas Bösem in der Ferne, das in die Stadt kam. Es roch nach Krise.
    Vierter Dezember, sein achtunddreißigster Geburtstag. Und das Verhängnis trat ein.
    Kurz vor drei Uhr morgens, als die Party sich aufzulösen begann, fand er das Mädchen unter dem Klavier. Ihre Augen waren nach hinten verdreht, ihre Arme umschlossen die Schultern. Von Zeit zu Zeit stöhnte sie und wand sich

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