Der Vogelmann
gleichgültig, wieviel er bezahlte.
Naß und keuchend richtete er sich auf.
Sein Gesicht starrte ihn aus dem Spiegel an. Es wirkte hager in dem fahlen Licht, und man sah ihm seine achtunddreißig Jahre an; als wäre er von innen ausgesaugt worden, innerlich vertrocknet von der Anstrengung. Er zwickte sich fest in die Wangen in der Hoffnung, der Schmerz würde ihm Klarheit
bringen. Aber alles, was er verspürte, war das dumpfe, vertraute Ziehen in seinem Bauch.
»Hilf mir, hilf mir bitte.«
Seine Stimme klang hohl, sie war nicht mehr als ein Flüstern. Nichts würde ihm helfen. Das wußte er. Er trocknete sich das Gesicht ab und ging ins Schlafzimmer zurück.
Der Raum war von purpurnem Dämmerlicht erfüllt. Sie lag da und starrte mit offenem Mund blicklos an die Decke, die Laken waren züchtig bis zum Schlüsselbein hinaufgezogen, als habe sie ordentlich sterben wollen. Zitternd durchquerte Harteveld den Raum und öffnete das Fenster. Die Nachtluft war kalt und süß, mit Schnee durchsetzt. Die libanesische Zeder zeichnete sich scharf vor dem sternenbesäten Himmel ab.
Wenn du wirklich möchtest, wenn du wirklich möchtest, sie könnte dir nicht Einhalt gebieten. Niemand würde es wissen. Niemand darf es wissen…
Bebend ging er zum Bett hinüber und zog langsam das Laken zurück, entblößte ihren Leib und knüllte es an ihren Füßen zusammen. Ihre Arme waren weit ausgebreitet, er legte sie ordentlich neben die Hüften, ihre immer noch rosafarbenen Handflächen bogen sich nach innen. Die schleimige Spur auf ihrem Kinn blinkte in dem trüben Licht auf. Ein Ödem. Ein Lungenödem. Er holte ein feuchtes Handtuch aus dem Badezimmer und wischte den Schleim vorsichtig ab. Dann säuberte er sie zwischen den Beinen, wo ihre Gedärme sich entleert hatten, und wechselte die beschmutzten Laken. Die Totenstarre hatte noch nicht eingesetzt, und sie ließ sich leicht bewegen: ein ruhiger Hügel beweglicher weißer Rundungen in dem bläulichen Licht, runde Brüste, runder Bauch, dicke Knie, lange, ovale Schenkel, alle Linien fielen sanft nach unten ab, um sich in dem dunklen Fleck der Scham zu vereinigen.
Auf der Innenseite des rechten Arms befanden sich Schorfspuren. Wahrscheinlich hatte sie etwas von dem hochwertigen Heroin genommen, mit dem er seine Gäste versorgte. Sie mußte an Straßenstoff aus Gorbal gewöhnt gewesen sein. Ihr Körper
konnte die reine Ware, die er in seinem Haus servierte, nicht vertragen. Von Reinheit getötet. Harteveld entging die Ironie nicht.
Er kauerte sich nieder, auf gleicher Höhe mit den kleinen weißen Füßen. Die Haut, die sich über die Sehnen des Rists spannte, sah aus wie eingesalzener Fisch. Ihre blicklosen Augen glänzten in dem purpurnen Licht. Vorsichtig strich er mit den Fingern über die Fußgelenke, die Stoppeln von rasiertem Haar kratzten auf seinen Fingerspitzen, die Kühle ihrer Haut ließ sein Herz klopfen. Sie war weich. Weich und kühl – und reglos.
Das Haus war ruhig und dunkel, als er die Fäuste öffnete und sich aufs Bett legte.
Danach war er so sehr von Selbstekel erfüllt, daß er eine ganze Flasche Pastis trank. Das meiste davon erbrach er wieder und war wütend, daß er am Morgen noch immer am Leben war. Mit dem grauen, geschändeten Leichnam an seiner Seite.
Er versperrte die große Eichentür am Fuß der Treppe und ging wieder zu Bett, wo er den ganzen nächsten Tag neben ihr liegen blieb. Die Hände starr an die Seiten gepreßt, stierte er aus dem Fenster auf den Turm der angrenzenden Kirche, der die Farbe der winterlichen Luft widerspiegelte und sich von kaltem Knochengrau in Korallenrot, dann in Blau und Weiß verfärbte und schließlich wieder in Grau getaucht war. Die Putzfrau traf ein und klopfte an die Tür. Als er nicht antwortete, gab sie auf, und nicht lange danach setzten wie gewöhnlich die üblichen Geräusche des Tages ein: Der Staubsauger wurde durch die Gänge geschoben, Eis fiel von der Zeder, Gläser klirrten, als sie an ihren angestammten Platz gestellt wurden.
Harteveld starrte weiterhin auf die Kirche.
Er war seltsam ruhig. Die Brücke war überquert, ein verborgener Hebel war umgelegt worden und würde nie mehr zurückgestellt werden. Er wußte, daß sich seine Welt von selbst nach innen stülpte.
Er drehte sich um und streichelte vorsichtig die starren Brustwarzen.
Als die Putzfrau im Lauf der Woche wiederkam, trat ihr Harteveld am Eingang mit einem weißen Umschlag entgegen, in dem sich zweihundertfünfzig Pfund und
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