Der Vollstrecker
hast heute noch fast nichts gegessen.«
Sie wimmerte, als eine neue Schmerzwelle ihren Körper erfasste. »Bitte, Schatz, hilf mir doch.«
Er konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten. Eine nach der anderen rollten sie seine Wangen hinunter.
»Du kannst mir dabei helfen, dass der Schmerz weggeht«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Du kannst mir meine Tabletten holen. Du weiÃt doch, wo Dad sie aufbewahrt, oder?«
Er wischte sich mit dem Handrücken die laufende Nase. Er zitterte vor Angst und böser Ahnung. »Die sind aber ganz oben im Schrank«, sagte er und wich ihrem Blick aus.
»Kannst du sie nicht für mich holen, mein Schatz? Bitte, es tut schon so lange weh. Du kannst dir nicht vorstellen, wie weh es tut.«
Seine Augen waren so voller Tränen, dass er alles nur noch verschwommen sah. Sein Herz fühlte sich ganz leer an, und alle Kraft schien ihn verlassen zu haben. Ohne ein Wort drehte er sich langsam um und öffnete die Tür.
Seine Mutter versuchte, ihm etwas hinterherzurufen, aber ihre Stimme war so schwach, dass nur ein unverständliches Flüstern über ihre Lippen drang.
Ein paar Minuten später kam er mit einem Tablett zurück, auf dem neben zwei gefüllten Keksen ein Glas Wasser und das Pillenfläschchen standen. Sie starrte es an, als könne sie ihren Augen kaum trauen. Ganz langsam und trotz der unerträglichen Schmerzen setzte sie sich im Bett auf. Er trat näher, stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab und reichte ihr das Wasserglas.
Sie schenkte ihm das liebevollste Lächeln, das er je gesehen hatte.
»Ich bin zu schwach, um die Flasche aufzumachen, Schatz. Kannst du das für mich machen?«
Er nahm die Flasche, drückte den Deckel herunter und drehte ihn gegen den Uhrzeigersinn. Dann schüttete er zwei Pillen in seine Handfläche und hielt sie ihr hin. Sie nahm sie, steckte sie in den Mund und schluckte sie, ohne auch nur an ihrem Wasser zu nippen. Ihre Augen flehten nach mehr.
»Ich hab den Beipackzettel gelesen, Mom. Da steht, man soll nicht mehr als acht Stück pro Tag nehmen. Du hattest jetzt schon zehn.«
»Du bist so klug, mein Schatz.« Wieder lächelte sie. »Du bist etwas ganz Besonderes. Ich habe dich so lieb, und ich bin so traurig, weil ich nicht erleben darf, wie du groà wirst.«
Erneut füllten sich seine Augen mit Tränen, als sie ihre knochigen Finger um das Arzneifläschchen schloss. Er hielt es fest.
»Ist schon gut«, flüsterte sie. »Es wird alles gut.«
Zögernd lieà er die Flasche los. »Dad ist dann bestimmt sauer auf mich.«
»Nein, ganz sicher nicht, mein Schatz. Das verspreche ich dir.« Sie steckte sich noch zwei Tabletten in den Mund.
»Ich hab dir die Kekse hier mitgebracht.« Er zeigte auf das Tablett. »Das sind deine Lieblingskekse, willst du nicht einen davon essen?«
»Gleich, Schatz, nachher.« Sie schluckte noch ein paar Tabletten. »Wenn Daddy nach Hause kommt«, wisperte sie, »sagst du ihm dann, dass ich ihn liebe? Machst du das für mich?«
Er nickte. Sein Blick war auf die mittlerweile fast leere Pillenflasche geheftet.
»Warum gehst du nicht und liest ein Buch, Schatz? Du liest doch so gerne.«
»Ich kann auch hier lesen, wenn du möchtest. Ich setz mich in die Ecke. Ich bin ganz leise, versprochen.«
Sie streckte die Hand aus und strich ihm übers Haar. »Es geht schon. Die Schmerzen sind schon fast weg.« Ihre Lider waren schwer geworden.
»Oder ich kann drauÃen Wache halten. Vor deiner Tür.«
Sie lächelte ein schmerzerfülltes Lächeln. »Warum willst du denn vor der Tür Wache halten, Schätzchen?«
»Du hast mir gesagt, dass manchmal Gott kommt und kranke Leute in den Himmel holt. Ich will nicht, dass er dich auch mitnimmt. Ich setz mich drauÃen vor die Tür, und wenn er kommt, sag ich ihm, er soll wieder weggehen. Ich sag ihm, dass es dir schon bessergeht und dass er dich nicht mitnehmen darf.«
»Du würdest Gott sagen, er soll weggehen?«
Er nickte heftig.
Wieder lächelte sie. »Du wirst mir so sehr fehlen, Robert.«
40
G anz allmählich, während sie den Pacific Coast Highway entlangfuhren, änderte sich die Szenerie, und die Betriebsamkeit von Downtown Los Angeles wich der friedlichen Ruhe von Malibu. Hunter jedoch hatte keinen Sinn für den atemberaubenden Meerblick. Er starrte weiterhin
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