Der Vollstrecker
Augenbrauen mit dem Zeigefinger und verfolgte den Weg der Regentropfen, die an der Seitenscheibe entlangzitterten. Seine Gedanken waren zu einem dichten Knäuel verstrickt, den er vergeblich zu entwirren versuchte. Innerhalb der letzten halben Stunde hatte sich der Charakter des Falls komplett gedreht. Nun, da sie von Vater Fabians Alptraum wussten, war die Theorie einer ritualhaften Tat endgültig vom Tisch. Hunter war sich hundertprozentig sicher, dass das, was sich vor wenigen Tagen in der Kirche der Sieben Heiligen abgespielt hatte, kein Ritualmord gewesen war. Der Mörder hatte lediglich Vater Fabians Alptraum nachgestellt. Aber warum?
Garcias Aufmerksamkeit wurde vom Verkehr in Anspruch genommen, aber dennoch hatte er gemerkt, wie Hunters Stimmung urplötzlich umgeschlagen war. Irgendwas musste das Mädchen gesagt haben, das seinem Partner zugesetzt hatte.
»Kann ich dich was fragen?«
»Schieà los«, sagte Hunter, ohne den Blick von der Scheibe abzuwenden.
»Wer ist Helen?«
»Was?«
»Monica, die â¦Â«, Garcia suchte nach dem passenden Wort, »⦠Hellseherin, mit der wir gerade gesprochen haben. Sie hat irgendwas über eine Helen gesagt, und dass es nicht dein Fehler war. Wer ist Helen?«
Hunter schloss die Augen.
Garcia war klug genug, ihn nicht zu bedrängen. Das Schweigen dehnte sich.
»Meine Mutter«, sagte Hunter schlieÃlich. »Helen war meine Mutter.«
Er war sieben gewesen, als es passiert war, aber die Erinnerungen, die nun auf ihn einströmten, waren klar und scharf wie Glas.
39
E r saà allein in seinem Zimmer und sah zu, wie die dicken Regentropfen gegen die Fensterscheibe trommelten. Er mochte Regen, je stärker, desto besser. Das Trommeln war fast laut genug, um die Schreie und das schmerzerfüllte Stöhnen aus dem Nebenzimmer zu übertönen â fast. Er hatte seinen Vater gefragt, warum die Ãrzte nichts unternahmen. Warum sie sie nicht ins Krankenhaus brachten und sie gesund machten.
»Man kann nichts mehr tun«, hatte sein Vater mit Tränen in den Augen gesagt und zwei Tabletten neben einem Glas mit Wasser bereitgelegt, bevor er das Arzneifläschchen wieder im hintersten Winkel des höchsten Schranks in ihrer kleinen Küche verstaut hatte.
»Warum geben wir ihr nicht mehr Tabletten, Dad? Dann gehen die Schmerzen weg. Sie weint nicht so viel, wenn sie die Tabletten genommen hat.«
»Nein, Robert«, antwortete sein Vater mit brüchiger Stimme. »Zu viele Tabletten sind nicht gut für sie.«
Immer wenn sein Vater nicht zu Hause war, musste er sich um die Mutter kümmern, und im Moment hatte sein Vater meistens Nachtschicht.
Nachts war es immer am schlimmsten. Ihre Schreie waren noch durchdringender, ihr Stöhnen war noch lauter und gequälter als tagsüber. Es verursachte ihm jedes Mal eine Gänsehaut. Nicht so, wie wenn er fror. Es war ein Zittern, das von ganz tief innen kam. Ihre Krankheit hatte ihr schon so viele Schmerzen bereitet, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er etwas tun könnte, um ihr zu helfen.
Vorsichtig öffnete er die Tür zu ihrem Schlafzimmer. Er hätte am liebsten geheult, aber sein Vater hatte ihm gesagt, dass er das nicht durfte. Sie lag zusammengerollt auf dem Bett, die Knie bis an die Brust gezogen, die Arme fest um die Beine geschlungen. Sie weinte.
»Bitte, hilf mir«, wisperte sie. »Es tut so weh.«
Er zitterte und versuchte, seine Tränen herunterzuschlucken. »Was kann ich denn tun, Mom?« Seine Stimme klang genauso dünn wie ihre.
Sie rollte sich noch kleiner zusammen.
»Soll ich Dad anrufen?«
Sie schüttelte den Kopf. Tränen liefen ihr das Gesicht hinab.
»Dad kann den Arzt rufen. Vielleicht kann der dir helfen.«
»Dad kann mir nicht helfen, Schatz. Und der Arzt auch nicht.«
Seine Mutter sah aus wie eine Fremde. Sie war so mager, dass sich die Knochen unter ihrer schlaffen bleichen Haut abzeichneten. Unter ihren Augen lagen tiefdunkle Schatten. Früher hatte sie schöne lange blonde Haare gehabt, aber jetzt waren sie dünn und strohig und klebten ihr im schweiÃnassen Gesicht. Ihre Lippen waren aufgesprungen und speichelverkrustet.
»Ich kann dir ein bisschen Milch warm machen, Mom. HeiÃe Milch magst du doch.«
Mühsam schüttelte sie den Kopf. Ihr Atem kam in kurzen, rasselnden StöÃen.
»Soll ich dir ein paar Kekse bringen? Du
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