Der Vollstrecker
auf der StraÃe hatten die Krägen ihrer Mäntel aufgestellt. Ein unrasierter Mann in einem fleckigen T-Shirt und zerrissener Jacke saà auf den Eingangsstufen eines leerstehenden Ladenlokals und suchte Schutz vor dem Wind. Er kratzte ausgiebig seinen strammen Bauch und trank einen Schluck aus einer Flasche, die in einer braunen Papiertüte steckte. Ihre Blicke trafen sich, und der Obdachlose streckte in der Hoffnung auf ein bisschen Kleingeld die Hand aus.
Der Mann spürte eine Woge des Zorns in sich aufwallen. Er krallte seine Finger fest um das Kruzifix in seiner Jackentasche und kämpfte gegen den übermächtigen Drang an, den Bettler zu schlagen und zu treten, bis das Blut spritzte. Bestimmt eine halbe Minute lang starrten sie einander an. Der Mann spürte, wie die Haut seiner Handfläche aufplatzte, als die Kanten des Kreuzes sich in sein Fleisch gruben. Seine Hand war auf einmal klebrig vor Blut.
»Danke, Herr«, flüsterte er, bevor er schlieÃlich den Blickkontakt mit dem Betrunkenen unterbrach und sich dazu zwang, weiterzugehen.
Er stand am StraÃenrand und wartete, bis die Ampel grün wurde. Es herrschte dichter Verkehr. Seine Kehle war wie ausgedörrt, und er massierte sich den Nacken, drehte den Kopf von rechts nach links. Dabei fiel sein Blick zufällig auf die Auslage eines Zeitungskiosks, und er erstarrte. Mit offenem Mund blieb er stehen. Er konnte nicht glauben, was er sah. Er begann am ganzen Körper zu zittern, und das Herz hämmerte mit schmerzhafter Heftigkeit gegen seine Rippen. Jetzt war er sich ganz sicher: Gott war mit ihm.
78
M an wird sich kaum eine gröÃere Schule vorstellen können als die Gardena Senior High. Das Schulgelände nahm einen halben StraÃenblock ein. Ganz offensichtlich wurde viel Wert auf Sport gelegt, denn es gab sage und schreibe dreiÃig Plätze für Tennis, Basketball und Volleyball; dazu kamen noch zwei Baseballfelder und das Footballfeld, das auch für FuÃballspiele genutzt wurde. DreiÃig Gebäude beherbergten insgesamt mehr als einhundert Klassenräume, und die schuleigene Bibliothek war besser ausgestattet als die Stadtbücherei von L. A.
Garcia stellte den Wagen auf einem der drei groÃen Parkplätze des Schulgeländes ab und meldete sich am Empfang. Die Schulsekretärin, eine exotische Schönheit Anfang dreiÃig, studierte seine Marke, wobei sie geflissentlich das Klingeln des Telefons ignorierte. Irgendwann hob sie den Blick, warf sich die langen schwarzen Haare nach hinten über die Schulter und musterte Garcia kurz, bevor sie in ihrem Terminkalender nachsah. »Direktor Kennedy hat heute ziemlich viel zu tun.«
»So ein Zufall, ich auch«, gab Garcia nicht unfreundlich zurück. »Ich verspreche, ich werde ihn nicht lange stören, aber ich muss unbedingt mit ihm sprechen.«
»Er hat gerade ein Elterngespräch, aber in fünf Minuten müsste er fertig sein.«
»Fünf Minuten kann ich warten.«
Sechs Minuten später bat Schulleiter Kevin Kennedy Garcia in sein Büro. Er war ein ernsthaft aussehender Mann Ende vierzig, so groà wie Garcia, aber stämmiger, mit schwarzen Haaren, die er nach Dracula-Art zurückgegelt hatte. Sein Gesicht war offen und vertrauenerweckend. Ein Gesicht, das Schüler respektierten. Er trug eine modische Brille mit fast unsichtbarem Rahmen und einen knitterfreien hellgrauen Anzug. Er begrüÃte Garcia mit einem verbindlichen Lächeln und festem Händedruck.
»Bitte setzen Sie sich, Detective«, sagte er und deutete auf einen der schwarzen Ledersessel vor seinem groÃen Schreibtisch aus Rosenholz. Garcia sah sich in dem geräumigen Büro um. Bilder und gerahmte Zeugnisse zierten die Wände. Auf mehreren Regalen standen Dutzende kleiner primitiv anmutender Figuren. Links neben dem Schreibtisch standen zwei Metallaktenschränke. Das groÃe Fenster ging auf den Schulhof hinaus. Kennedy stand daneben.
»Entschuldigen Sie bitte die Wartezeit«, sagte er mit einem freundlichen, aber leicht nervösen Lächeln. »Zwar haben wir schon seit fünf Tagen Weihnachtsferien, aber es geht immer noch drunter und drüber hier. AuÃerdem ist heute der letzte Tag fürs Kollegium, dadurch ist alles nur noch hektischer. Sie haben Glück, dass Sie heute gekommen sind. Morgen hätten Sie vor verschlossenen Türen gestanden. Also, wie kann ich Ihnen helfen,
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