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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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menschenwürdiges
Leben, sie half ihm bei der gesellschaftlichen Perfektionierung: Repräsentieren, Kinderkriegen, die Bude in Schuss halten, eben alles, was ein erfolgreicher Chef von Wesley braucht, um Lebenskompetenz jenseits des Büros nachzuweisen.
    Camille ging es wirklich gut bei ihm. Sie hatte ein großzügiges Budget für ihre Klamotten, das sie auch jeden Monat gründlich ausschöpfte. Dafür sah sie immer gut aus und war bei sexuellem Bedarf jederzeit abrufbar.Nur bei der Fruchtbarkeit schien irgendwas unrund zu laufen. Aber hätte er vor der Ehe einen Test einfordern sollen? Wenn sich so was rumgesprochen hätte. Nein, keine Sorge, beruhigte sich Attila, Herren-Männersamen hatte sich noch immer durchgesetzt. Er liebte Nazi-Anspielungen jeder Art, so wie alle Machtmenschen. Mit jeder Flasche Cheval Blanc, die in diesem Land geköpft wurde, fiel mindestens einmal der Name Hitler, Goebbels, Göring, fast immer verbunden mit kollektivem Prusten. Da war sich das Geldgewerbe mal einig. »Du hast mein Omelett vergessen, heute Morgen«, sagte Attila mit leicht mahnendem Tonfall. Er wolle verhindern, dass diese Nachlässigkeiten einrissen. Aus kleinen wurden schnell große Schlampigkeiten. Die Broken-Window-Theorie galt auch für Partnerschaften. Und Camille musste jederzeit klar sein, um wen es in ihrer Beziehung wirklich ging. Ihr esoterischer Fimmel war ihm schon unangenehm genug. Mussten diese vormodernen Urvölker eigentlich immer auf Hokuspokus abfahren?
    »Heute es gibt kein Omelett«, sagte Camille sanft, »du darfst nicht essen, wegen die Untersuchung.«
    »Wegen der Untersuchung«, korrigierte Attila. Immer jede Chance nutzen, um besser zu werden.
    »Wie war das Bauchgetränk«, fragte Camille, »sehr schlimm?«

    Attila sprang aus der Wanne. Verdammt, er hatte gestern Abend den Darmreinigungstrunk vergessen. Er hatte die Karaffe mit der trüben Brühe extra auf seinem Schreibtisch platziert, wo er bis kurz nach zwei gesessen und gearbeitet hatte. Aber er hatte nicht einen Schluck getrunken. Er konnte den Check unmöglich platzen lassen, nur weil er seine Aufgabe nicht erfüllt hatte. Bei Wesley würden sich alle das Maul zerreißen.
    Was tun? Vierundzwanzig Stunden vor der Untersuchung hätte er einen Liter von diesem Zeug trinken müssen. Nun waren es kaum mehr als zehn Stunden bis zum Termin, also musste er mindestens die doppelte Menge trinken: Zwei Liter in zehn Stunden waren ungefähr so gut wie ein Liter in vierundzwanzig Stunden.
    Attila fuhr in seinen Bademantel, huschte Camille einen Kuss auf die Wange und hastete auf die Galerie, zu seinem Schreibtisch. In der Karaffe stand eine gelbliche Flüssigkeit mit einem wolkigen Bodensatz. »Attacke«, dachte Attila und hob den Krug an die Lippen. Er trank und trank ohne abzusetzen, fest entschlossen, den Geschmack überhaupt nicht wahrzunehmen, bevor die Karaffe leer war. Doch als der erste Schwung vom Bodensatz seine Kehle traf, konnte er das Würgen nicht länger unterdrücken. Tränen schossen ihm in die Augen.
    Aber er setzte nicht ab. »Stell dir vor, es geht um dein Leben«, feuerte er sich an. Das dachte er immer in entscheidenden Momenten. In Augenblicken existenzieller Not mobilisierte die Psyche jene entscheidenden Prozente, die über Sieg und Niederlage entschieden. Noch zwei Schlucke, dachte Attila. Schweigend sah Camille von unten aus dem Kaminzimmer zu, wie ihr Mann auf der Galerie einen merkwürdigen Kampf ausfocht. Sie war froh, diesen Vormittag nicht zu Hause zu verbringen.

    Attila warf ihr einen triumphierenden Blick hinab. Den zweiten Liter würde er sogleich ansetzen.
    Sie lächelte hinauf zu ihm. Sie liebt mich wirklich, dachte er.

    Es war alles so praktisch in Maiks Leben. Henry konnte allein zur Schule gehen, in weniger als zehn Minuten. Auf dem Weg dorthin las er zwei Klassenkameraden auf, die ebenfalls in ihrer Eigenheimsiedlung wohnten. Und gleich neben der Schule lag die Kita, in der Henry seine kleine Schwester Anna abzuliefern hatte, die meistens artig an der Hand ihres großen Bruders ging. Alles unendlich praktisch.
    Maik war fast aus einem kurzen, tiefen, traumlosen Schlaf erwacht, als Ulrike die Tür öffnete. Sie hatte sich immer ein praktisches Schlafzimmer gewünscht, mit eigenem Badezimmerzugang und einem begehbaren Kleiderschrank. Er hatte all ihre Wünsche erfüllt, so wie immer, seit sie zusammen waren, fast zwanzig Jahre jetzt schon. Maik sah das marokkanische Hauszelt über dem Stuhl hängen. Ulrike war in

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