Der Vollzeitmann
sitzen zu lassen. Komme ja nicht auf die Idee, dich deinen Pflichten entziehen zu wollen. Das kannst du nicht bringen; damit ruinierst du unser aller Leben und dich, vor allem moralisch.
Maik lag im Bett, kratzte sich genussvoll im Schritt und hörte Ulrike im Kleiderschrank rumoren; sie würde in irgendetwas Zeltartigem zum Vorschein kommen, so wie immer, seit sie sich das Gewicht von zwei Kästen Bier auf die Hüften geladen hatte. Maik hatte kein Problem damit; er mochte Üppigkeit. Aber Ulrike fühlte sich nicht wohl. Neulich hatte er sie dabei erwischt, wie sie zwei Schlankmacherslips beim TV-Shopping bestellt hatte. Die Dinger pressten Fett und Fleisch zusammen, mit der unglaublichen Gewalt einer Gummimischung, wie sie sonst nur in Bremsseilen auf Flugzeugträgern verarbeitet wurden.
Die Hosen, die vom Nabel bis fast zum Knie reichten, sorgten für Durchblutungsstörungen, Atemnot, vor allem aber für unglaublich hartnäckige Pressfalten durch den stundenlangen Druck. Ulrike war vor allem auf die Außenwirkung bedacht, also auf ihre Silhouette. Was sie leider überhaupt nicht mehr bedachte, war die Binnenwirkung: Wie sollte ein Mann sich an seiner Frau aufgeilen, die selbst bei vollständiger Dunkelheit ein Völlegefühl erzeugte, weil sie nach alten Autoreifen roch?
Ulrike kam aus dem Kleiderschrank. Sie war nackt bis auf ein durchsichtiges Nichts von Bluse. Ihre immensen Brüste hüpften in grenzenlosem Optimismus. »Mach mal Platz«, befahl sie und schlüpfte zu ihm unter die Decke. Maik musste umdenken. Es gab Momente, da verspürte er tatsächlich noch so etwas wie Liebe zu dieser Frau, nicht nur wegen der Kinder.
Lars stemmte sich mit aller Kraft gegen die Blase, aber der Druck war stärker. Er blickte auf den Wecker. Kurz nach acht. Mit sehr viel Kreativität könnte er den Morgen so gestalten, dass er noch eine gute Stunde würde pennen können. Lars hielt seinen Schwanz über die Schüssel. Das Ding brannte. Wo früher ein strammer Strahl heraus schoss, tröpfelte es jetzt wie bei einem undichten Wasserhahn. Dafür nahm das Plätschern überhaupt kein Ende mehr. Und was waren das für komische rote Flecken? Klare Sache: Inkontinenz, Prostatakrebs und Schwanzpilz. War ja klar, dass er eines Tages würde bezahlen müssen für seinen Lebenswandel.
»Wenn er schon sterben musste, dann wollte er lieber in den Himmel, als einfach nur zu Staub zu zerfallen: Nur jetzt gerade bitte nicht. Er hatte noch so viel vor.«
Er hatte sich in letzter Zeit immer mal wieder mit dem Gedanken getragen, zu beten. Das Leben als Atheist war ihm zu unsicher geworden. Wenn er schon sterben musste,
dann wollte er lieber in den Himmel, als einfach nur zu Staub zu zerfallen: Nur jetzt gerade bitte nicht. Er hatte noch so viel vor.
9 UHR
Es wummerte an der Tür. »Spacko, komm ma’ raus!« Jochen fuhr empor und blickte auf die Uhr. Kurz vor neun. Bretti, der Arsch. Der Kerl wusste genau, dass er von der Nachtschicht kam. Aber er wusste auch, dass Jochen gern noch wixte oder im Internet surfte, um in einigen Blogs zu posten. Was sollte der Radau?
»Was willst du, Vollpfosten?«, brüllte Jochen. Eine Beleidigung pro Satz war Minimum und der Beweis, dass alles stimmte zwischen ihnen. »Wir müssen mit dir reden«, erklärte Bretti.
Wir? Wieso wir? Litt Bretti inzwischen an multipler Persönlichkeit?
Jochen nahm einen tiefen Atemzug. Mal ganz subjektiv gerochen, lag ein zarter Hauch von maskuliner Erotik in der Luft. Sensiblere Nasen könnten es auch für das erste Stadium von Pumakäfig bezeichnen.
»Ich komm’ ja schon«, ächzte Jochen und wälzte sich von seiner Matratze. Er riss das Fenster auf und streifte sich das XXL-T-Shirt mit Tweety und Sylvester über, das auch schon mal weiter gesessen hatte. Seine Latte hatte sich zum Glück gelegt, maximal zwanzig Prozent morgendlicher Resterektion.
Jochen riss die Tür auf. Da stand Bretti, frisch geduscht, an der Hand Julia, frisch gefickt. Aha, deswegen also »Wir«. Was sollte der Auftritt? Organisierte Bretti jetzt Besichtigungen von Jochens Zimmer, als Musterbeispiel für merkwürdige Single-Behausungen? War er seltsam geworden,
ohne es zu merken? In Jochen stieg das Gefühl auf, bisweilen nicht am richtigen Leben teilzunehmen.
»Wollt ihr mich zum Frühstück einladen?«, fragte Jochen. Ein originellerer Spruch war ihm so schnell nicht eingefallen. Plötzlich durchfuhr ihn ein heißer Gedanke. War Bretti mit seiner ohnehin nicht bemerkenswerten Kondition am
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