Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
Vom Netzwerk:
und die Weinsafes aus Pappe.
    Würde er mit seinem Kopf in einen kleinen Beutel überhaupt hineinpassen? Vielleicht konnte man die Tüte an der Naht vorsichtig auftrennen, über das Gesicht ziehen und hinten mit Tesa luftdicht umwickeln. Oder besser mit Lassoband. Dann würde er aber ziemlich viele Haare mit einkleben. Ausgerechnet davon hatte er nun wirklich kein einziges mehr abzugeben. Neulich erst hatte er mit Hilfe von drei Spiegeln versucht, die Größe jener kargen Hochebene zu ermitteln, die sich auf seinem Hinterkopf blitzartig gebildet hatte. Der Verfall war dramatisch, keine Frage, dennoch fühlte Jochen sich noch nicht bereit für diese Tüten-Nummer. So sterben nur Prominente, dachte er. Und da würde er noch ein paar Wochen, eventuell sogar Monate warten müssen. Klar, Beyond Cool würde richtig durchstarten. Aber niemand wusste, wie und wann. War es so weit, würde er sich
das mit der Plastiktüte aber erst recht noch mal überlegen. Seine allerschlimmste Vorstellung bestand darin, dass er im Todeskampf nicht mal gekommen sein würde. Totgewixt, aber knochentrocken im Schritt. Die Cops würden sich kaputtlachen. Vielleicht stünde es sogar in der Zeitung: Deutschlands bester Radiomoderator impotent? Wie schrecklich. »Ableben ohne Grund«, würde der Gerichtsmediziner in den Totenschein schreiben.
    Vieles sprach dafür, auf konventionelle Art weiter zu onanieren, so wie sich das seit dreißig Jahren bewährt hatte, auch wenn Jochen die Begeisterung von früher abhanden gekommen war. Er hätte das Pärchen im Cabrio doch fragen sollen.
    Jochen versuchte, sich Bretti und Julia beim Poppen vorzustellen, aber erregend war das nicht. Er sah immer nur ein bebendes Kopfkissen oder Julias unrasierte Achseln oder Brettis behaarten Hintern, der angestrengt pumpte. Jochen war Haaren gegenüber eigentlich nicht abgeneigt. Sexuell gesehen war er auf dem totalen Retro-Trip.
    Im Internet hatte er in den letzten zehn Jahren alle erdenklichen Kunststücke gesehen. Fehlte nur noch, dass Frauen sich eine Eichenschrankwand einführen ließen. Dieser Wettbewerb der Absonderlichkeiten, der in den seltensten Fällen gesund aussah, erregte ihn allerdings immer weniger. So war er zu den Pornos der Achtzigerjahre zurückgekommen, die ihn als Pubertierenden in den Wahnsinn getrieben hatten: Die Frauen trugen nicht quadratmeterweise Bauernmalereien auf ihrem Körper, hatten nicht jede Falte durchlöchert und Gardinenringe befestigt, staksten nicht auf zwanzig Zentimeter hohen Bänderriss-Plateaus umher - und waren trotzdem tausendmal schärfer.
    Denn sie schritten barfuß über ein Bärenfell. Oder in hautfarbenen Strümpfen, die an komplexen Strapsgürteln befestigt
waren. Irgendein Schlauberger hatte für den Farbton, der in Wirklichkeit »Popelgrütze« heißen musste, den wunderbaren Begriff »Champagner« erfunden. Farbtondichter, das wäre auch noch mal ein Job.
    Lustlos schubberte Jochen an sich herum. Eigentlich war er ein großer Verfechter von autonomem Sex. Mit Frauen war es immer langwierig und teuer, ohne dass Vollzug garantiert gewesen wäre. Mit sich selbst war man in drei Minuten fertig - preisgünstig und garantiert, meistens jedenfalls. Der Dunst, der unter der Decke aufstieg, half nicht gerade, seine Lust ins Unendliche zu treiben. Man musste schon ziemlicher Feinschmecker sein, um sich an diesem Gemisch aus Aal, Altschweiß und Batteriesäure aufzugeilen. Jochen hatte kein Problem mit dem Geruch, nur mit dem Geschmack auf der Zunge, wenn er mit dem Finger noch einen Tropfen Spucke auf der Eichel platzierte, um die Reibungswärme zu minimieren. Er hatte mal Olivenöl probiert, von Bretti, aber das neigte zum Flocken. Weit in der Ferne vernahm Jochen noch Julias finalen Schrei: »Ohohjajaja, ich sterbe« - dann fiel er in einen traumlosen Schlaf.

    Als Martin ins Schlafzimmer lugte, traf ihn Ottos verschlafener Blick. »Böser Papa«, sagte der Junge nur.Martin war zutiefst getroffen. Warum war der erste Gedanke eines vierjährigen Jungen am Morgen ausgerechnet dieser? Warum böser Papa? Er war nicht böse, ganz im Gegenteil, er war ein gutmütiger Trottel, der sich seiner Frau und ihrer Karriere bereitwillig unterwarf. Hatte er sein ganzes Leben, seine Position in der Agentur, vor allem aber sein Selbstwertgefühl geopfert, nur um sich von diesem Gör beleidigen zu lassen? Warum verletzte ihn sein eigener Sohn auf diese perfide Weise?

    »Er war nicht böse, ganz im Gegenteil, er war ein gutmütiger Trottel,

Weitere Kostenlose Bücher