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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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den Wein«, sagte Dorothea in ihrem wundervollen Generalston. »Holtkötter trinkt nur Bordeaux, alles andere hält er für Katzenpisse.« Martin kannte Holtkötter gar nicht richtig, aber er war jetzt schon bereit, ihn abgrundtief zu hassen. »Bordeaux, Bordeaux, Bordeaux«, wiederholte Dorothea, als habe er nicht alle Latten im Zaun, »Harry wird wieder versuchen, dir irgendetwas anderes anzudrehen. Aber du wirst standhaft bleiben, dieses eine Mal jedenfalls, okay?«
    Martin liebte ihr »Okay?« Erst behandelte sie einen wie den letzten Dreck, aber dann kam, ganz am Ende, dieses »Okay«: versöhnlich, kameradschaftlich, aufmunternd, geradezu verschwörerisch.
    »Bordeaux, Bordeaux, Bordeaux«, wiederholte Martin. Dorothea nickte. Sie schnürte ihren Bademantel fester zu, was die Aussichten deutlich reduzierte. Das war eine klare Provokation. Und sie wusste es.
    Martin hätte ihr jetzt gern ein paar rustikale Kommandos gegeben. Und sie hätte vielleicht sogar gehorcht. In sexuellen Angelegenheiten waren ihre Machtverhältnisse immer komplett umgekehrt gewesen. Dorothea hatte es früher genossen, grob behandelt zu werden. Und Martin hatte immer große Freude daran gehabt, mit jener Angst und jener Hoffnung zu spielen, die Dorothea praktisch unablässig durchbebt hatte. Einerseits hatte sie seine Befehle gefürchtet, andererseits durch kalkulierte Unartigkeiten immer wieder eine Bestrafung provoziert. Bisweilen hatte ihn das Spiel genervt, jetzt wäre er froh, wenn er es öfter spielen dürfte. Es hatte ihr Leben unter Spannung gehalten.

    Im Rasierspiegel sahen die Poren aus wie Krater, in denen all seine Hoffnungen verschwanden. Lars dimmte das Badezimmerlicht und musterte sein Gesicht von allen Seiten. Eine gute Stunde Schlaf pro Nacht war nicht gerade das, was einen Menschen schöner machte.
    Lars hatte die Spiegel so angeordnet, dass er jeden Millimeter seines Körpers kontrollieren konnte. Er verachtete Männer, die sich gehen ließen. Als Single konnte er sich keine Bindegewebsschwäche leisten. Da draußen herrschte Krieg zwischen den Geschlechtern, eine einzige Kampfzone, das hatte doch dieser verklemmte Franzose geschrieben. Nur die Attraktivsten spielten mit, und er wollte dazugehören.
    Jeden Morgen kontrollierte er zuerst sein Kinn. Das Kinn war der wunde Punkt des Mannes. Man konnte trainieren, wie man wollte - wenn man am Kinn ein genetisches Gewebeproblem geerbt hatte, hatte man spätestens mit vierzig ein Doppelkinn und sah mit fünfzig aus wie ein Leguan. Auf die üblichen Liegestütze zur Straffung der Brustmuskulatur verzichtete er heute, mit Rücksicht auf seinen Kreislauf. Lars zitterte.
    Im Gym musste er dringend wieder auf den Stepper, auch wenn das ein eher schwules Gerät war. Aber er hatte den Eindruck, sein Po baumelte ein wenig schlaff herum. Der Hintern ist das Kinn der Rückseite, dachte Lars. Geht gar nicht. Bei alten Frauen, also denen in seinem Alter, kam man auch als Leguan mit Hängearsch durch. Aber darauf wollte er sich erst gar nicht einlassen. Das wäre die größte Niederlage, wenn er sich plötzlich mit so einer Schabracke begnügen müsste. Der Maßstab war die Praktikantin, jetzt und für immer.
    »Als Single konnte er sich keine Bindegewebsschwäche leisten.«

    Lars inspizierte seinen Hinterkopf Millimeter für Millimeter unter einem speziell ausgerichteten Halogenstrahler. Kreisrunder Haarausfall wäre der Tod. Er nahm jeden Morgen Alpecin Liquid und Seborin Hair Tonic , manchmal beide Mittel zugleich und in doppelter Dosis. Man konnte sich nicht sorgfältig genug pflegen. Er hatte die komplette Produktpalette von Biotherm im Regal, für gereizte und empfindliche Haut, gegen vorzeitiges Altern und Pflege für den ganzen Tag.
    Sein Kopf brannte immer noch. Lars fühlte sich immer noch nicht fit, aber mit Kosmetika für zwanzig Euro auf der Haut zumindest wertvoll.

    Attila stöhnte. Das Grummeln hatte sich in seinem Magen ausgedehnt und zu mehreren verheerenden Eruptionen geführt. Zum ersten Mal seit Langem war er verdammt froh, nicht im Büro zu sein. Er hatte Jaspers zurückgerufen, der erst um halb acht auf seine Mailbox gesprochen hatte, und ihm eingeschärft, jedes Wort zu protokollieren, dass die Bindinger fallen ließ, insbesondere Gehässigkeiten über Attila.
    Beim Sprint zum Klo hatte er den Blackberry abgeschaltet, was er sonst niemals tat. Aber wie schnell passierte es, dass man eine Handy-Verbindung versehentlich aufrechterhielt. Attila wollte sicher gehen,

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