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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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Sieg für die Frau.«
    Ulrike weinte oft, um sich durchzusetzen. Und wenn Maik einmal wagte, ihr trotzdem nicht recht zu geben, so gab es ja noch Mutti und Vati: Und die lebten praktischerweise seit zwei Jahren ganz in der Nähe. Nach jahrelangen juristischen Scharmützeln hatten ihre Eltern eine Familienimmobilie vom bösen Osten zurückerobert und waren tatsächlich von Wuppertal in die Nähe der Hauptstadt gezogen. Er schätzte angeblich das preußische Potsdam, sie tat so als liebte sie die Berliner Kultur, und beide fühlten sich, umringt von Ossis, herrenmenschlich wie die Buren in Südafrika. Ihren Besitz würden sie notfalls mit Waffengewalt gegen die Wilden verteidigen. Seither musste er seine Frau nicht nur mit zwei Kindern, sondern, viel schlimmer, auch
noch mit zwei chronisch übellaunigen Senioren teilen, die schon dadurch zur Last fielen, weil sie pausenlos betonten, dass sie nicht zur Last fallen wollten.
    Auch deswegen fuhr Maik gern ins Büro. Denn spätestens um halb zehn begann Schwiegermutter Leni damit, zur Last zu fallen. Früher überlegte sie sich wenigstens noch einen Vorwand - Brötchen vorbeibringen, Gardinen abnehmen und waschen, Bob-der-Baumeister-Poster im Kinderzimmer aufhängen -, doch inzwischen stand sie einfach so vor der Tür, unangekündigt, jeden Tag.
    Von Maik hielten Ulrikes Eltern gar nichts: Erstens war er Ossi. Zweitens hatte er in der DDR nicht studieren dürfen, weil seine Familie seit jeher Ärger mit dem System hatte. Für Ulrikes Eltern war das Studienverbot kein Beweis von menschlicher Integrität und Aufrichtigkeit, sondern eher Indiz dafür, dass mit diesem Burschen und seiner Familie irgendetwas nicht in Ordnung sein konnte. Klar, wenn die Stasi schon ihre Bedenken hatte; dann wirdja wohl was dran gewesen sein. Wo Rauch ist, fällt man nicht weit vom Stamm. Drittens hatte Maik nach dem Mauerfall keine neue Ausbildung mehr begonnen, geschweige denn ein Architektur-Studium, wie er es sich immer erträumt hatte, sondern er hatte sich durch verschiedene Gartenbaufirmen hochgerackert. Wer etwas von Grünzeug verstand, merkte sehr schnell, dass Maik ein geradezu magisches Verständnis für Pflanzen hatte, für jede einzelne und die Komposition von vielen, auch bei größeren Ensembles wie Gärten und Terrassen. Unlängst erst hatte er für einen Adeligen in Brandenburg einen ganzen Schlosspark gestaltet. »Lenné hätte vor Glück gejuchzt«, hatte der Freiherr hinterher gesagt. Maik war glücklich. Es tat ihm gut, Beständiges zu schaffen.
    Dass er nach der Pleite mit seinem eigenen kleinen Betrieb ausgerechnet in einem Gartencenter gelandet war, hatte er
anfangs als Katastrophe empfunden. Aber inzwischen hatte sich der Job als Glücksfall entpuppt. Denn mit dem Verkauf von Stiefmütterchen und Säcken voller Blumenerde war kein großes Geschäft mehr zu machen.
    Allerdings wussten immer weniger Kunden, wie sie denn Pflanzen, Erde, Dünger und Pötte halbwegs sinnvoll zu kombinieren hatten. Hier half Maik. Für einen fürstlichen Stundenlohn beriet er vermögende Rentnerinnen, gestresste Anwälte, gelangweilte Zahnarztgattinnen und betont lässige Medien-Fuzzis, die zwar mit einem blütenprächtigen Garten protzen wollten oder mit ihrer zen-artigen Dachterrasse, aber nicht die geringste Ahnung hatten, wie solche floralen Kleinode anzulegen und am Sprießen zu halten waren.
    Heute Vormittag erst war er wieder von einer Fernsehmoderatorin gebucht. Er hatte ihren Namen noch nie gehört, aber das durfte er natürlich nicht sagen, wenn er sie begrüßte. Vielmehr hatte es sich bewährt, jeden noch so Semi-Prominenten um eine Autogrammkarte anzugehen. Damit war der nächste Job schon so gut wie ausgemacht. Du denkst schon wie ein Wessi, ermahnte sich Maik. Und das war kein Kompliment. Die Krone der Schöpfung war ja wohl der Ost-Mann.

10 UHR

    Jochen versuchte wieder einzuschlafen. Klappte nicht.
    Jochen versuchte noch mal zu onanieren. Klappte nicht. Jochen versuchte seine Gedanken zu ordnen. Klappte nicht. Wie ein Steilwandfahrer sauste ein einziges Wort pausenlos an der Innenwand seines Schädels entlang: Warum? Warum, Bretti? Warum dieses Weibsstück? Was sollte der Scheiß, du blöde, alte, dumme Sau?

    Acht Jahre hatten sie zusammengewohnt, sie hatten alles geteilt, sogar die Frau, theoretisch jedenfalls, wenn es eine gegeben hätte - das hatten sie mal morgens um drei nach sehr viel Bier beschlossen. Sie waren füreinander gemacht, wie Tom und Jerry, Starsky and Hutch,

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