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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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dass es keine Zeugen gab, wenn sich Magen und Darm ein weiteres Mal geräuschvoll umstülpten.

    Keine Schwäche zeigen, schon gar nicht nach einer durchzechten Nacht. Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps. Das war wahrscheinlich der Erste von unendlich vielen Sinnsprüchen, die Maik von seinem Vater gelernt hatte. Die Botschaft war klar: Wer bis in die Puppen saufen kann, der kann auch am nächsten Morgen als Erster im Büro sein. War nicht gerade ostig, diese Haltung, aber Maiks Vater war auch eher Preuße gewesen als DDR-Bürger.
    Auf dem Weg zum Gartencenter überlegte Maik, was er in den letzten zwölf Stunden alles erlebt hatte: Lehmanns Attacke, um ihn in den Betriebsrat zu quatschen, ein paar Gläser Goldkrone als Digestif, dann der Thai-Schuppen, der Typ an der Tanke, die Waltons zu Hause, eine überraschend geile Ulrike und praktisch kein Schlaf.
    Natürlich hätte Maik zu Hause bleiben können. Als Chef-Kreativer hatte er alle Freiheiten. Aber er hatte immer noch Probleme damit, diese Freiräume auch zu nutzen. Er fühlte sich faul, illoyal, arrogant, wenn er zu Hause arbeitete.
    »Du spinnst«, sagte Ulrike immer, wenn er über seine Pflichtgefühle redete. Das war die falsche Antwort. Zuerst einmal waren seine Empfindungen nicht falsch oder schlecht, sondern tendenziell edel. Er wollte sich seinem Arbeitgeber gegenüber als fleißiger Angestellter erweisen und zugleich nicht aus der Schar der Mitarbeiter ragen. Maik hätte mehr Verständnis erwartet für seine Haltung. Aber Ulrike versuchte nie, die Welt durch seine Augen zu betrachten. Sie dachte nur an sich und die Kinder. Und ein Papa, der viel zu Hause war, der war gut für die Familie. Außerdem hob ein Mann, der zu Hause arbeitete, das Sozialprestige in Reihenhausen. Die ganzen Hektiker in der Nachbarschaft, die sich wahrscheinlich schon überlegten, wie sie sich den Blackberry in den Unterarm implantieren
könnten, verkrümelten sich morgens vor acht und liefen abends erst nach zehn wieder zu Hause ein.
    In Wirklichkeit war diese Siedlung keine Familiengegend, sondern ein Endlager für Hunderte praktisch alleinerziehender Frauen, die gelegentlich Besuch von einem Mann bekamen, der ihnen jeden Tag fremder wurde. Über die Jahre wurden sie fett und grau, während der Gatte sich fröhlich von Praktikantin zu Praktikantin bumste.
    Maik hatte sich lange gesträubt, in eine dieser austauschbaren, unfassbar praktischen Neubauschachteln zu ziehen, die vor allem eines waren: eine Vorstufe des Sarges. Begriffe wie »Reihenendhaus« klangen in Maiks Ohren nicht nach Qualitätsmerkmal, sondern machten ihm einfach nur Angst.
    Aber Ulrike hatte sich nach Jahren ausdauernder Quengelei durchgesetzt. Sie wollte Übersicht im Leben. Bullerbü wäre der ideale Wohnort für sie gewesen, allerdings nicht der Mittelhof, sondern einer der beiden Reihenendhöfe, am besten der im Süden, weil dort mehr Licht ins Kinderzimmer schien und der Garten größer war. Jahrelang hatte Maik gehofft, Ulrike würde eines Tages einsehen, dass nicht die äußeren Umstände ein Leben spannend machten, sondern die Haltung.
    Aber Ulrike wollte gar keine andere Haltung, sondern einfach nur Beständigkeit. Sie ging am liebsten jeden Tag in die gleichen Geschäfte, absolvierte die gleichen Dialoge mit ihrer Mutter, die sie als »meine beste Freundin« bezeichnete, und legte jeden Morgen einen aufs Gramm genau gleich schweren Haufen in die Schüssel. Seit sie sich kennengelernt hatten, fuhren sie jeden Sommer in die gleiche Pension auf Wangerooge, eben dorthin, wo sie mit ihren Eltern bereits die Ferien verbracht hatte. Wenn der Hund des Vermieters starb, schickte Ulrike eine Trauerkarte.

    Maik war nichts egaler als irgendeine schnappende Kackmaschine. Aber er hatte auch eingesehen, dass es völlig sinnlos war, Grundsatzdebatten über derlei Kinkerlitzchen anzuzetteln. Denn das Finale verlief immer identisch. »Du bist so herzlos«, schluchzte Ulrike früher oder später. Und Maik fühlte sich mies, ohne genau zu wissen warum. Eigentlich fühlte er sich ganz gern mies - schließlich war er Ossi. Tränen sind die hinterlistigste Masche überhaupt. Sie beenden jede halbwegs vernünftige Diskussion mit einem moralischen Sieg für die Frau. Denn wer weint, hat automatisch recht. Also heulten Frauen immer dann los, wenn sie merkten, dass sie unterliegen könnten.
    »Tränen sind die hinterlistigste Masche überhaupt. Sie beenden jede halbwegs vernünftige Diskussion mit einem moralischen

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