Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter W. Hohenester
Vom Netzwerk:
offengeblieben, als ich letzte Nacht den Eingang der Erdhöhle mit Steinen verbarrikadierte, um ungestört schlafen zu können. Meine Hand tastete nach deinem kleinen festen Körper unter den Fellen neben mir. Doch du warst nicht da. Yrsig. Nein, du warst nicht da! Dem Ruf des großen Sterns sollte ich folgen. Ohne dich! Gesetz sollte ich verkünden. Die Stimme der Ewigkeit sollte ich suchen. Und du? Du warst nicht da! Ich zog mir die Felle über den Kopf.
     
    Zu oft im Wald der bunten Blätter wärest du gewesen, hatte der Wolf gesagt. Auch ich war schon dort gewesen und hatte ihrem Flüstern gelauscht. Ich erinnerte mich gut.
    Der Wald der bunten Blätter bedeckte einen kleinen Hügel in der Nähe der Behausungen, in denen du deine Kindheit verbracht hast. Als ich damals unter den ersten Zweigen hindurchging, nahm ich zuerst den Duft des welkenden Laubes wahr. Das Blätterdach über mir war hoch und licht. Sanft schwebten die bunten Blätter herab. Der Boden war bedeckt von ihnen. Ein zarter Windhauch bewegte sie und ließ sie gegeneinanderstoßen. Ein leises Rascheln, ein Flüstern erfüllte die Luft. Ich setzte mich unter einen großen Baum. Mit dem Rücken lehnte ich mich gegen den Stamm. Ich schloss die Augen. Jetzt konnte ich das Flüstern verstehen. Es klang wie ein Chor.
    Ein kleines unscheinbares Blatt fiel herab und plapperte bedeutungsvoll:
    »Wir Blätter, wir Blätter, wir sind schlau, wir wissen alles ganz genau.
    In die Höhle müsst ihr schleppen, viele schöne Sachen
    Dann beneiden euch die Deppen, und ihr habt gut lachen.
    Mammutzähne müsst ihr raffen, bunte Steine, Federn, Felle
    Und sie werden euch begaffen, das ist die wahre Freudenquelle.
    Ja, wir Blätter, wir sind schlau, wir wissen alles ganz genau.
    Einen Kerl muss Frau ergattern, der ganz breit ist und ganz stark
    Dann giften sich die anderen Nattern und es trifft sie arg.
    Wir Blätter, wir Blätter, wir sind schlau, wir wissen alles ganz genau.«
    Ein besonders hässliches Blatt flatterte herab:
    »Ich zeig es euch im Bild, ich zeig es euch im Bild,
    Wie sich der Hordenführer mit der Drullsaua knüllt.«
    Ein überaus buntes Blatt kreischte:
    »Seht hier, die schönsten Weiber, am blauen Badestrand.
    Wie sie sich lockend tummeln, nackt, ohne Fellgewand!«
    Die Blätter der Buchen und Eichen segelten in geordneten Reihen herab:
    »Weiber müssen Männer haben. Männer müssen immer jagen.
    Weiber müssen Kinder kriegen. Männer müssen immer siegen.
    Wenn der Mann viel Felle bringt, jedes Weib von Liebe singt.
    Wir Blätter, wir Blätter, wir sind schlau, wir wissen alles ganz genau.«
    Die Eichenblätter sangen etwas lauter:
    »Wenn die Männer tüchtig jagen, dürfen sie die Frauen schlagen,
    Sie in eine Höhle sperren und dann andere verehren.
    Wir Blätter, wir Blätter, wir sind schlau, wir wissen alles ganz genau.«
    Dann ging es weiter:
    »Soll ein Mann gut sein bei Frauen muss er andre Männer hauen
    Wer am besten hauen kann, ist der allerschönste Mann,
    Allerschönste Mann, allerschönste Mann, allerschönste Mann...«
    Ein ganz schmales, spitzes Blatt zwitscherte dazwischen:
    »Weiber müssen Weiber lieben, denn die Männer, die sind schlecht.
    Sie bedrohen dich mit Hieben machst du' s ihnen nicht gleich recht.«
    Unters Fell wollen sie dir greifen, alles Fleisch fressen sie weg.
    Und dann ziehen sie dich mit Worten, hinterher noch in den Dreck.«
    Die Eichenblätter setzten sich durch:
    »Weiber brauchen große Brüste. Und auch einen dicken Po!
    Nur so wecken sie die Lüste. Und sie machen Männer froh.«
    Drei Weidenblättchen tanzten herab:
    »Alles ist schön, alles ist fein, machst du die Anderen nur recht klein.«
    Das letzte der Drei piepste:
    »Weiber über dreißig, die sind hässlich. Und, ganz alt
    Männer über vierzig, die sind grässlich und sie sterben baaald.«
    Und alle sangen und flüsterten durcheinander:
    »Wir Blätter, wir Blätter, wir sind schlau, wir wissen alles ganz genau, alles ...«
    Mir reichte es. Ich hatte genug. Ich hielt mir die Ohren zu und flüchtete entnervt aus dem Wald der bunten Blätter.
     
    Jetzt glaubte ich zu verstehen, was mit Humuspapilzl geschehen sein musste. Canibalouis hatte mir diese Geschichte erzählt.
    Canibalouis war ein großer Mann. Er hatte sich den Kopf mit einer Muschelschale kahl geschoren. Denn er wollte Gerechtigkeit erlernen. Da galt es kühlen Kopf bewahren. Dazu aß er eifrig das Gehirn der Toten, um die Kraft ihres Geistes in sich aufzunehmen.
    Eines Tages

Weitere Kostenlose Bücher