Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
beobachtete er, wie Humuspapilzl aus dem Wald der bunten Blätter torkelte und davor zusammenbrach. Canibalouis lief sofort zu ihm, um ihm zu helfen.
Humuspapilzl hatte mehrere Sommer im Wald der bunten Blätter verbracht. Er hatte sich in einem großen, modernden Laubhaufen eine Schlafhöhle eingerichtet. Dort hatte er gelebt und Tag und Nacht dem Flüstern gelauscht.
Als Canibalouis bei dem Gestürzten ankam, war dieser bereits tot. Canibalouis kniete nieder, wie es Brauch war, breitete die Arme aus und bat um die Gnade, Wissen schlürfen zu dürfen. Dann griff er nach seinem Kopflocher aus Feuerstein und öffnete den Schädel des Humuspapilzl. Was er darin fand, erfüllte ihn derart mit Grauen, dass er schreiend davonrannte. Statt unter der Fettschicht ein leckeres, festes, nach Mark schmeckendes Gehirn hervorzuholen, entdeckte er eine löchrige, zerfressene Masse mit entzündeten Rändern. Es war ein schrecklicher Schock für ihn. Seitdem befragte er die Sterbenden, denen er begegnete, immer, ob sie aus dem Wald der bunten Blätter kämen, bevor er ihren Tod abwartete und ihren Schädel öffnete. Er selbst betrat den Wald der bunten Blätter nie wieder.
Die Vögel des Od
Mein Magen knurrte. Meine Blase war voll. Ich schüttelte die Erinnerungen ab und wühlte mich aus meinen Fellen. Eilig räumte ich die Steine am Eingang meiner Erdhöhle zur Seite. Ich schnupperte und sicherte nach allen Seiten. Die Luft war rein. Kein Raubtiergeruch. Keine sichtbare Gefahr.
Aus der Vorratsecke holte ich eine Handvoll Nüsse. Dann kroch ich ins Freie. Mit einem faustgroßen Stein zerschlug ich die Schalen der Nüsse. Auf Blumen und Blättern hatte sich Tau gesammelt. Ich leckte ihn ab, um meinen Durst zu stillen. Dazu kaute ich langsam die Kerne der Nüsse. Meine Gedanken kehrten zu dir zurück.
Im Wald der bunten Blätter warst du gewesen. Ihrem unsinnigen Geflüster hattest du gelauscht, hattest ihm vielleicht sogar geglaubt, in deiner Unschuld. Und jetzt bist du in den Bann dieses Hinkelsteintypen geraten. Ich wurde wütend. Ich hasste ihn. Vor mir sah ich einen bemoosten Baumstumpf mit zwei dunklen Astlöchern. Sie starrten mich wie Augen an. Es kam mir vor als sähe ich in das grinsende Gesicht dieses Hinkelsteintypen. Ich sprang auf. Ich ergriff einen dicken Ast. Ich schlug auf diese Fratze ein. Ich schlug und schlug und schlug. Vernichten wollte ich ihn. Für immer aus deinem Leben verschwinden lassen. Ich schlug weiter zu. Schweiß tropfte von meiner Stirn, lief mir brennend in die Augen. Die Arme schmerzten mich.
Der Baumstumpf war längst zu Brei geschlagen. Ich drosch weiter auf die Reste ein. Endlich zersplitterte auch der Ast. Nur mein Zorn und meine Verzweiflung waren geblieben. Ich warf mich zu Boden und hämmerte mit den Fäusten auf die Erde.
»Warum, warum, warum?« tobte es in mir. »Wie konntest du, die du einen Teil meiner Seele in dir trugst, einem solchen Typen verfallen? Hattest du denn all deinen Stolz verloren? Warst du überhaupt noch du selbst? War dein Gehirn vielleicht schon zu entzündetem Gewebe zerfallen?« Wie konnte ich dir helfen? Wie dich retten? Ich musste zu dir.
Ein Krächzen unterbrach meine Qual. Ich blickte zum Himmel. Die Vögel des Od kreisten über mir. Ich konnte dich jetzt nicht retten. Ich durfte nicht. Eine Aufgabe wartete auf mich. Ich hatte dem Ruf des großen Sterns zu folgen. Ich musste die Stimme der Ewigkeit suchen. »Was das Große alte Mammut sieht, das wird geschehen. Was das Große alte Mammut spricht, das muss geschehen«, hatte der Schamane gesagt. Ich durfte jetzt nicht zu dir eilen. Ich durfte mich nicht um dich kümmern. Ich musste weit fort. Ich musste Vorbereitungen treffen.
Die Vögel des Od hatten sich auf einem vertrockneten Baum in der Nähe niedergelassen. Ich winkte ihnen zu. Dann ging ich zur Erdhöhle. Die alte Schweinsblase war noch da. Sie diente mir auf meinen Wanderungen als Wassersack. Ich trug sie zum Fluss. Die Sonne schien. Die Luft war warm. Ein sanfter Wind fächelte durch das Gras und schob kleine weiße Wölkchen über den Himmel. Die beiden Vögel folgten mir. Ich kannte sie seit Langem. Überall auf meinen Wegen waren sie mir begegnet. Stets waren sie ein gutes Omen gewesen. Ihr Gefieder war schwarz. Sie sahen fast gleich aus. Nur schimmerten die Federn des einen rötlich, im schrägen Licht der Sonne. Die des anderen zeigten einen bläulichen Glanz.
Nahe am Ufer lag ein glatt geschliffener Felsen im Wasser. Ich sprang
Weitere Kostenlose Bücher