Der Vormacher
Flasche Wein. Außer einer Stuckdecke hat Theodoras Wohnung in meiner Vorstellung eine Küche mit Linoleumboden, auf dem es sich ausgezeichnet knien lässt. Sex auf Fußböden, so wenig originell das auch klingen mag, reizt mich ganz besonders. Dielen, das könnte ich mir auch vorstellen, die hat sie im Wohnzimmer, und die knarren, wenn man darauf fickt. Natürlich auch, wenn man nur darauf tritt. Ich denke nicht nur an Sex, wenn ich an Theodora denke. Ich denke auch daran, wie wir erschöpft nebeneinanderliegen, ihr erhitzter Körper vom Licht einer Straßenlaterne beschienen, ganz weiß sieht sie aus im Dunkel des Zimmers, mein Schwanz wird schon wieder steif, und ich falle abermals über sie her … oder Frühstück, morgens, in ihrer Küche, sie lacht, sie ist glücklich, auch ein wenig verlegen, ich sitze am Küchentisch im offenen Hemd, sie im Bademantel oder in einem T-Shirt … vielleicht noch ein Quickie vor der Arbeit?
Als ich Punkt acht Uhr in die Goethestraße einbiege, überkommen mich leichte Zweifel wegen der Blumen. Eine Flasche Wein, das ist ganz normal, aber Blumen, das ist vielleicht ein wenig zu forsch beim ersten Besuch. Ich muss lachen, ja, das ist mein erster Besuch bei Theodora, mein erster Besuch, und schon habe ich die Zahnbürste dabei. Schließlich lasse ich die Blumen im Auto. Wenn wir uns erst mal warm geplaudert haben, werde ich mir vor die Stirn schlagen und rufen: »Oh, das habe ich ganz vergessen …« Dann sind die Blumen bestimmt noch wirkungsvoller.
Goethestraße 18 ist ein Altbau, und was für einer! Noch strahlender, mit noch kolossalerem Treppenhaus, noch prächtigeren Etagentüren als in meinen Tagträumen. Theodora trägt einen Trainingsanzug. Ich kann Trainingsanzüge im Allgemeinen nicht ausstehen, aber bei ihr mache ich eine Ausnahme, vor allem, weil sie keinen BH darunter trägt. So ein Trainingsanzug hat schließlich den Vorteil, dass er sich leicht ausziehen lässt. Ob sie ihn darum angezogen hat?
»Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen«, sagt sie, als sie den Wein entgegennimmt. Irre ich mich, oder klingt da ein leichter Vorwurf in der Stimme? Zugegeben, Wein ist kein sehr originelles Präsent, aber ich hatte auch wenig Zeit nach der Arbeit. Dann besser schnell die Blumen holen.
»Ich hab meine Sachen im Auto gelassen, soll ich die gleich holen?«, frage ich und drehe mich auf der Schwelle um.
»Nein, warte«, sagt sie. Sie scheint es eilig zu haben.
»Hier sind deine Schlüssel«, sagt sie. »Dein Zimmer ist am Ende des Flurs, hier ist das Bad und die Toilette, da ist die Küche. Nimm dir einfach, was du brauchst. Ich muss los, ich habe mich zum Joggen verabredet.«
Das hatte ich mir anders vorgestellt. Hier stehe ich, in der prächtigen Altbauwohnung – mit Stuckdecke, wie ich es mir gedacht habe –, alleine, mit meinem Gepäck und einer Flasche Wein. Ich bin so verdutzt, dass ich ganz vergesse zu fragen, wann sie denn zurückkommt. Geht sie noch was trinken nach dem Joggen? Oder geht sie davon aus, dass wir hier noch etwas trinken, wenn sie zurückkommt? Wahrscheinlich ist es eine Gewohnheit, geht sie immer mit einer alten Freundin joggen, der sie einfach nicht absagen kann. Vielleicht weiß sie auch nicht, wie sie sich mir gegenüber verhalten soll, weil das alte Interesse doch noch da ist, sie sich aber aus Pietätsgründen zurückhält. In so einem Fall weicht man einander erst mal aus, das kann ich schon verstehen. Jedenfalls ist ihr Weggang nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen. Außerdem hat sie gesagt, dass sie sich zum Joggen verabredet hat. Das heißt, dass es wahrscheinlich gar nicht lange dauert. Vermutlich wollte sie das eigentlich andeuten mit ihrer Erklärung. Es ist ja an sich schon erstaunlich, dass sie eine Erklärung gibt für ihr Weggehen, dass sie mir genau sagt, was sie vorhat. Ein weiblicher Instinkt: Sie will mich vor unnötiger Eifersucht bewahren. Wie lange joggt sie wohl? Höchstens eine Stunde. Dann kommt sie zurück, mit rot glühenden Wangen, einem frischen Mädchenlachen im Gesicht, verschwitzt und fröhlich. Das gefällt mir beinahe noch besser als die Aussicht auf eine geduschte Theodora.
Erst mal die Wohnung anschauen. Die Küche hat Linoleum, wie ich mir das gedacht habe, das ist ein erster Pluspunkt. Im Flur Dielen, knarzende alte Holzdielen, auch dieser Tagtraum kommt so in den Bereich des Möglichen. Besonders neugierig bin ich auf Theodoras Zimmer. Die Tür steht halb offen, ich schleiche hinein. Dass ich
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