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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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Ich bin nicht bei Jana geblieben, weil ihre Liebe mich rührt. Ich habe mich bloß nie getraut, wegzugehen. Ich werde nicht vom Chef benachteiligt, weil Emil sich bei ihm einschmeichelt. Emil ist einfach fünf Jahre jünger als ich und macht dieselbe Arbeit besser. Ich habe Theodora nicht deshalb nicht verführt, weil meine Pietät mich zurückgehalten hätte. Ich hatte einfach keine Chance bei ihr, weil ich ein schlapper, feiger, unansehnlicher Sack bin. Ich spreche die Worte aus.
    »Ein schlapper, feiger, unansehnlicher Sack«, und dann:
    »Ein Verlierer, ein Loser, ein Möchtegern, ein Schwächling, ein Egoist, ein Schlappschwanz, ein Jammerlappen, ein verächtliches Nichts, ein Wurm.«
    Das Wort passt am besten. Ich bin ein Wurm. Nicht nur ich. Auch Emil, auch Theodora, Jana und ihre Mutter. Wir alle sind Würmer. Wir sehen kaum über den Tellerrand, und auch dann sehen wir nur unseren Vorteil. Wir wollen vorankommen, wir wollen geliebt werden, wir wollen unser Wurmglück. Dabei kommen wir aus dem Nichts und kehren ins Nichts zurück, bloß wollen wir das nicht wissen. »Ein Fisch ist ein Fisch und ein Kiesel ein Kiesel.« Darum schlägt Fritz seine Frau, darum trinkt er so viel. Er ist halt so. Warum auch nicht? Er hat begriffen, dass es egal ist. Seine Frau hat ein blaues Auge? Seine Frau hat ein blaues Auge. Der Chef ist ein Tyrann, der seine Mitarbeiter gegeneinander ausspielt? Der Chef ist ein Tyrann, der seine Mitarbeiter gegeneinander ausspielt. Die Mutter von Jana ist eine hysterische Alte, die ihre Tochter nicht vor sich sterben sehen will? Die Mutter von Jana ist eine hysterische Alte, die ihre Tochter nicht vor sich sterben sehen will. Ein Fisch ein Fisch, ein Kiesel ein Kiesel, eine Frau eine Frau, ein Wurm ein Wurm, so ist es eben.
    Ich mache meinen Frieden mit der Welt. Dann schlafe ich ein.

 
     
     
     
     
    A m nächsten Tag, als ich in die Küche komme, sitzen Emil und Theodora beim Kaffee. Es stört mich nicht. Emil ist ein Wurm, wie ich, und Theodora ist eine junge, lebenshungrige Würmin. Ich lächle ihnen gnädig zu und lasse mir Kaffee einschenken. Die Sonne scheint. Durchs offene Fenster dringt warme Morgenluft, mit Autoabgasen gewürzt. Ich lehne mich entspannt zurück. Das Wunder geschieht. Nicht ich muss mich dafür entschuldigen, dass meine Schwiegermutter mitten in der Nacht den Hausfrieden bricht, sondern Theodora entschuldigt sich dafür, dass sie so grob gewesen ist.
    »Du hast das genau richtig gemacht«, sagt sie. »Ich hätte ja sehen müssen, dass die total durch den Wind war. Arme Frau. Ich war nur zu perplex, um das richtig einzuschätzen. Schon toll, wie du immer so menschlich reagierst.«
    Emil sitzt dabei und nickt hilflos. Als Theodora unter der Dusche ist, wird er ein bisschen selbstbewusster.
    »Tolle Frau, was?«, sagt er unvermittelt und zwinkert mir zu.
    Ich zwinkere nicht zurück.
    »Tolle Frau, ja«, antworte ich in einem Tonfall, als hätte er etwas Unanständiges gesagt, als wollte er Theodora zu einer tollen Frau reduzieren, zu einem Sexobjekt. Er verschluckt sich an seinem Kaffee und wird rot. Mein Gott, was für ein Scheißer! Er hat die besseren Karten, schließlich hat er hinter Theodora gekniet, da, wo ich eigentlich knien wollte, aber er kann mit seinem Vorteil nicht umgehen, er sitzt auf seinem Küchenstuhl und schämt sich, der Jammerlappen.
    »Ist dir warm?«, erkundige ich mich.
    »Warum?«, fragt er verunsichert.
    »Ach«, meine ich schulterzuckend. Als er die Arme anlegt, um die Schweißflecken unter seinen Achseln zu verbergen, tut er mir beinahe leid. Ein Wurm halt, genau so ein Wurm wie ich. Ich klopfe ihm auf die Schulter.
    »Soll ich dir ein Hemd leihen?«, biete ich an.
    Er wird noch röter. Er ist viel zu fett für meine Hemden, das weiß er genauso gut wie ich.
    »Bis später dann«, murmelt er und verzieht sich.

 
     
     
     
     
    I m morgendlichen Arbeitsverkehr bin ich ein in Blech verpackter Wurm unter seinesgleichen, lauter Kondenswürmer um mich herum, Dosenwürmer, die missmutig ihre Ellenbogen aus den Autofenstern hängen lassen. Im Büro begrüße ich den Pförtnerwurm, eine verspätete Putzwürmin, die anderen Bürowürmer und natürlich den Chefwurm, als er an mir vorbeistampft.
    »Was gibt’s denn so zu grinsen, Hiller?«, fragt der Chefwurm.
    »Reine Arbeitslust, Chef«, antworte ich, ohne eine Miene zu verziehen. Im Hintergrund höre ich Linda lachen, pardon, die Lindawürmin.
    »Morgen, Lindawurm!«, rufe ich. Aber sie hat

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