Der Vormacher
mich nicht gut verstanden, sie lacht und winkt freundlich zurück. Um mich rum tummeln sich die Würmer, alle rennen ihren Wurmgespinsten hinterher. Und ich Hillerwurm sitze dazwischen. Was machst du, Hillerwurm? Ich hillerwürme mich durch den Arbeitstag. Und das Beste: Ich habe meinen Frieden damit geschlossen. Es macht mir nichts aus, dass ich ein ängstlicher, eingebildeter Schleimer bin unter vielen, die alle hoffen, dass der Chef ihnen endlich mal wieder ein paar Cent extra zuspielt. Genauso wenig macht es mir aus, dass der Chef meine Gier und meine Feigheit ausnutzt, um mich unterm Daumen zu halten. So ist es eben. Eine Mücke sticht, ein Fisch schwimmt, ein Chef manipuliert und unterdrückt. Sonst wäre er kein Chef. Wenn ich selbst einmal Chef bin – nein, falls ich selbst einmal Chef werden würde, vielleicht habe ich das Zeug dazu gar nicht –, dann täte ich es genauso, das steht fest. Es gehört eben zum Spiel.
Aber heute passieren Sachen, die nicht zum Spiel gehören. In der Mittagszeit kommt Linda in mein Büro gestürmt. Sie fällt beinahe über meinen Schreibtisch.
»Jetzt ist er zu weit gegangen!«, ruft sie. »Er ist mir an den Busen gegangen.«
»Wer?«, frage ich überflüssigerweise.
»Gustaf natürlich!«, schnaubt sie.
Sie zittert vor Wut, und ihr Busen zittert mit. Kein Wunder, dass der Chef seine Finger nicht von diesen Prachtdingern lassen konnte. Eigentlich bin ich immer davon ausgegangen, dass der Chef seine Finger mehrmals täglich über den Busen seiner Sekretärin wandern lasse. Gehört das nicht auch zum Spiel?
»Wir hatten eine Vereinbarung, und die hat immer funktioniert«, erklärt Linda, als hätte ich laut gedacht.
»Das heißt …«
»Ganz einfach«, sagt sie. »Er darf mit mir flirten, so viel er will, mit Worten jedenfalls. Er darf mich bei Geschäftsessen anzwinkern, um auf seine Gäste Eindruck zu machen. Er darf mich sogar hin und wieder ins Kino einladen, wenn er es mir auf meine Arbeitszeit anrechnet. So weit, und nicht weiter. Und dann so was! Heute setzt er sich einfach vor mir auf meinen Schreibtisch und schiebt mir die Hand in den Ausschnitt. So ein Schwein! Das lass ich mir nicht gefallen!«
Sie bricht in Tränen aus.
Unbeholfen stehe ich auf und gehe auf sie zu.
»Komm schon, Linda«, sage ich, »jetzt wein doch nicht.«
Da plärrt sie erst richtig los.
»Was hast du denn gemacht, als er … als er dich belästigt hat?«
»Ich …«, sie schluchzt, »ich habe ihm eine gepfeffert, wie im Film.«
»Na also«, beruhige ich sie, »dann hast du es ihm doch gezeigt.«
»Bitte«, fragt sie, »Henri, kannst du mich in den Arm nehmen? Ganz kurz, einfach so …«
Ich breite vorsichtig die Arme aus. Sie wirft sich an meine Brust.
»So ein Schwein! Was denkt der sich überhaupt!«, legt sie wieder los. Mein Hemd wird nass. Sie klingt aber gar nicht mehr so verzweifelt, sondern eher so, als hätte sie ihren Spaß. Ich bekomme einen ganz neuen Eindruck von ihrem Körper. Unter meiner linken Hand fühle ich das Bändchen ihres Büstenhalters. Ich habe mir noch gar nichts vorgestellt, als mein Körper schon reagiert. Ich schiebe meinen Unterleib etwas nach hinten. Sie scheint von meiner Erektion nichts mitzubekommen, denn sie rutscht sofort nach, sie presst sich an mich, als wären wir zwei Modellbauteile, die mit Sekundenleim für immer vereint werden sollen.
Langsam beruhigt sie sich. Ich atme tief aus.
»Henri?«
»Ja?«
»Was ist jetzt eigentlich mit dir und Theodora?«
»Was soll da sein? Ich wohne bei ihr, und sie stört mich beim Schlafen, das ist alles.«
Lindas Hand krallt sich in meinen Rücken.
»Was meinst du, sie stört dich beim Schlafen? Kann sie nicht genug kriegen, meinst du das?«
»Aber Linda!«, protestiere ich. »Bist du etwa eifersüchtig?«
»Was meinst du?«, bohrt sie weiter. Hoffentlich kommt keiner ins Büro. Lindas Klammergriff könnte zu Gerüchten führen.
»Was ich meine«, erkläre ich, »ist, dass Theodora wie ein Ferkel schreit, wenn Emil über sie herfällt. Emil selbst macht übrigens Geräusche wie eine Seekuh. Das meine ich, wenn ich sage, dass sie mich beim Schlafen stören.«
»Ach so«, sagt Linda erleichtert. Dann beginnt sie zu kichern.»Wie eine Seekuh? Das kann ich mir vorstellen, das passt zu ihm. Weißt du, dass er es bei mir auch versucht hat? Der versucht es echt bei jeder.«
»Linda?«, frage ich vorsichtig. »Vielleicht sollten wir, also, vielleicht solltest du mich loslassen, das könnte doch
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