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Der Wachsblumenstrauß

Der Wachsblumenstrauß

Titel: Der Wachsblumenstrauß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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fein!«
    Während Mr Entwhistle Miss Gilchrist betrachtete, sah er plötzlich eine ganze Welt vor sich auferstehen – eine Welt von Hunderten damenhafter Gestalten, die ihn in unzähligen Teesalons mit Namen wie Bay Tree, Ginger Cat, Blue Parrot, Willow Tree und Cosy Corner bedienten, alle adrett in blaue, rosa- oder orangefarbene Kittel gekleidet, und Bestellungen für ein Kännchen grünen Tee und Gebäck entgegennahmen. Miss Gilchrist hatte ein spirituelles Zuhause gehabt – einen damenhaften Teesalon mit altmodischem Charme und entsprechend kultivierten Gästen. Es musste in England eine große Zahl von Miss Gilchrists geben, überlegte er, die sich alle ähnlich sahen, mit geduldigem, langmütigem Gesicht, unbeugsamer Oberlippe und etwas dünnem grauem Haar.
    »Aber ich sollte nicht so viel über mich reden«, fuhr Miss Gilchrist fort. »Die Polizei ist sehr freundlich und rücksichtsvoll gewesen. Wirklich sehr freundlich. Ein Inspector Morton vom Hauptrevier war hier und war überaus verständnisvoll. Er wollte sogar, dass ich die Nacht bei Mrs Lake hier in der Straße verbringe, aber das habe ich abgelehnt. Ich empfand es als meine Pflicht, hier im Haus zu bleiben, bei all den hübschen Sachen von Mrs Lansquenet. Sie haben die… die…«, Miss Gilchrist schluckte ein wenig, »die Leiche weggeholt und das Zimmer versiegelt, und der Inspector sagte mir, dass ein Polizeibeamter die ganze Nacht in der Küche Wache stehen würde – wegen des eingeschlagenen Fensters… heute Morgen ist es ersetzt worden, Gott sei Dank!… Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, also sagte ich, ich wäre in meinem Zimmer gut aufgehoben, obwohl ich gestehen muss, ich habe die Kommode vor die Tür geschoben und einen großen Krug Wasser aufs Fensterbrett gestellt. Man weiß ja nie… und wenn es wirklich ein Verrückter war… man hört ja immer wieder von solchen Sachen…«
    Hier erlahmte Miss Gilchrists Redeschwall.
    Mr Entwhistle nutzte die Gunst des Moments. »Alle wesentlichen Tatsachen habe ich bereits von Inspector Morton erfahren. Aber wenn es Sie nicht zu sehr belastet, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir alles selbst noch einmal berichten könnten…«
    »Aber natürlich, Mr Entwhistle. Ich weiß genau, was Sie meinen. Die Polizei ist immer so unpersönlich, nicht? Und natürlich zu Recht.«
    »Am Abend zuvor war Mrs Lansquenet also von der Beerdigung nach Hause gekommen.« Mr Entwhistle gab ihr das Stichwort.
    »Ja, der Zug kam erst sehr spät. Ich hatte ihr ein Taxi bestellt, das sie am Bahnhof abholte; darum hatte sie mich gebeten. Sie war sehr müde, die Arme – kein Wunder –, aber sonst war sie guter Dinge.«
    »Ja, ja. Hat sie etwas von der Beerdigung erzählt?«
    »Nur kurz. Ich habe ihr einen Becher heiße Milch gemacht – sonst wollte sie nichts –, und sie erzählte mir, dass die Kirche sehr voll gewesen war und lauter Blumen überall. Ach ja, und sie sagte, es täte ihr sehr Leid, dass sie ihren anderen Bruder nicht gesehen hatte – Timothy heißt er, nicht?«
    »Ja, Timothy.«
    »Sie sagte, sie hätte ihn seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen und hätte gehofft, dass er kommen würde; aber dann hat sie verstanden, dass es für ihn unter den Umständen viel besser war, nicht zu kommen, aber dass seine Frau da gewesen war und dass sie Maude nie hatte leiden können – ach du meine Güte, bitte verzeihen Sie, Mr Entwhistle… das ist mir so herausgerutscht – ich wollte nicht…«
    »Das macht gar nichts«, beschwichtigte Mr Entwhistle. »Ich gehöre nicht zur Familie. Und soweit ich weiß, haben Cora und ihre Schwägerin sich nie besonders gut verstanden.«
    »Das hat sie in etwa auch gesagt. ›Ich hab immer gewusst, dass Maude zu einem herrschsüchtigen Drachen werden würde‹, hat sie gesagt. Und dann wurde sie sehr müde und wollte gleich ins Bett – ich hatte ihr schon eine Wärmflasche gemacht… und dann ist sie nach oben gegangen.«
    »Sonst hat sie, soweit Sie sich erinnern, nichts Besonderes gesagt?«
    »Sie hatte keine Vorahnung, wenn Sie das meinen, Mr Entwhistle. Da bin ich mir sicher. Sie war bester Laune – von ihrer Müdigkeit einmal abgesehen, und von – nun ja, dem traurigen Anlass. Sie fragte mich, ob ich Lust hätte, nach Capri zu fahren. Nach Capri! Ich sagte natürlich, das wäre wunderbar – das hätte ich mir nie träumen lassen, eine solche Reise zu machen –, und sie sagte: ›Dann fahren wir!‹ Einfach so. Ich habe vermutet – obwohl sie es nicht ausdrücklich sagte

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