Der Wachsblumenstrauß
Nichts als Beerdigungen. Da fällt mir ein, vorhin hat noch einer von deinen hochverehrten Abernethies angerufen – ich glaube, er sagte Timothy. Von irgendwo in Yorkshire – es geht wieder um eine Beerdigung! Er sagte, er würde es später noch mal versuchen.«
Am Abend kam ein Anruf für Mr Entwhistle. Als er den Hörer abnahm, hörte er am anderen Ende die Stimme Maude Abernethies.
»Gott sei Dank erreiche ich Sie endlich! Timothy ist in einem erbärmlichen Zustand. Die Sache mit Cora hat ihn völlig aus der Fassung gebracht.«
»Verständlicherweise«, sagte Mr Entwhistle.
»Wie bitte?«
»Ich sagte, das sei verständlich.«
»Wahrscheinlich.« Maude klang zweifelnd. »Wollen Sie damit sagen, dass es wirklich ein Mord war?«
(»Er ist doch ermordet worden, oder nicht?«, hatte Cora gefragt. Aber hier war die Antwort eindeutig.)
»Ja, es war Mord«, bestätigte Mr Entwhistle.
»Mit einem Beil, heißt es in der Zeitung.«
»Ja.«
»Es ist absolut unglaublich«, erklärte Maude, »dass Timothys Schwester – seine eigene Schwester – mit einem Beil ermordet worden sein soll!«
Mr Entwhistle fand es nicht minder unglaublich. Die Welt, in der Timothy lebte, war jeglicher Gewalt so weit entrückt, dass man sich verleitet fühlte zu glauben, auch seine Verwandtschaft müsse davon verschont bleiben.
»Ich fürchte, man muss den Tatsachen ins Auge sehen.« Mr Entwhistle blieb nachsichtig.
»Ich mache mir große Sorgen um Timothy. Das tut ihm alles gar nicht gut! Jetzt habe ich ihn ins Bett geschickt, aber er will unbedingt, dass ich Sie dazu überrede, nach Yorkshire zu kommen und ihn zu besuchen. Er hat Hunderte von Fragen – ob es eine gerichtliche Untersuchung geben wird, wer daran teilnehmen muss, wie bald die Beerdigung stattfinden kann und wo, wieviel Vermögen da ist, ob Cora eine Feuerbestattung wollte oder was und ob sie ein Testament hinterlassen hat…«
Bevor die Liste zu lang wurde, unterbrach Mr Entwhistle die Anruferin.
»Ja, sie hat ein Testament aufgesetzt. Sie hat Timothy zu ihrem Testamentsvollstrecker ernannt.«
»Ach du meine Güte, Timothy wird aber gar nichts tun können…«
»Die Kanzlei wird sich um alles Notwendige kümmern. Das Testament ist sehr einfach. Sie hat ihre Bilder und eine Amethystbrosche ihrer Hausdame, Miss Gilchrist, hinterlassen und alles andere Susan.«
»Susan? Warum denn Susan? Soweit ich weiß, hat sie Susan doch gar nicht gekannt – nur als Baby hat sie sie einmal gesehen.«
»Ich glaube, der Grund war, weil Susan angeblich eine Ehe einging, die der Familie nicht ganz standesgemäß erschien.«
Maude lachte verächtlich.
»Dabei ist Gregory noch um einiges besser als Pierre Lansquenet! Natürlich, zu meiner Zeit wäre es nie in Frage gekommen, einen Mann zu heiraten, der in einem Geschäft hinter der Theke steht – aber eine Apotheke ist immerhin was anderes als ein Kurzwarenladen – und zumindest wirkt Gregory ganz manierlich.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Heißt das auch, dass Susan das Geld bekommt, das Richard Cora vermacht hat?«
»Nein. Das Kapital wird gemäß der Verfügung in Richards Testament aufgeteilt. Nein, die arme Cora besaß nur ein paar hundert Pfund und die Möbel in ihrem Cottage. Wenn alle Schulden beglichen und die Möbel verkauft sind, werden meines Erachtens kaum mehr als höchstens fünfhundert Pfund bleiben.« Er fuhr fort: »Es wird natürlich eine gerichtliche Untersuchung geben, um die genaue Todesursache festzustellen. Der Termin ist für kommenden Donnerstag angesetzt. Wenn es Timothy recht ist, schicken wir den jungen Lloyd zu der Verhandlung, um sie im Namen der Familie zu verfolgen. Ich fürchte, der Fall könnte einiges Aufsehen erregen wegen der… äh… Umstände«, fügte er entschuldigend hinzu.
»Wie unangenehm! Haben sie den Kerl schon gefasst?«
»Noch nicht.«
»Wahrscheinlich einer von diesen entsetzlichen unausgegorenen jungen Männern, die durchs Land streunen und nach Lust und Laune Leute ermorden. Die Polizei ist wirklich ausgesprochen unfähig.«
»Keineswegs«, widersprach Mr Entwhistle. »Die Polizei ist alles andere als unfähig. Das dürfen Sie keinen Moment denken.«
»Nun ja, auf jeden Fall übersteigt das alles mein Fassungsvermögen. Und es tut Timothy überhaupt nicht gut. Es wäre wohl zu viel verlangt, dass Sie herkommen, Mr Entwhistle? Ich wäre Ihnen so dankbar. Ich glaube, es würde Timothy sehr beruhigen, wenn Sie ihm alles erklären könnten.«
Mr Entwhistle
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