Der Wachsmann
Größenwahnsinnigen namens Peter und einem armen Narren namens Paul?«
»Sei nicht albern! Vielleicht können wir ja auch noch ein paar von den Flößern gewinnen.«
»Wie auch immer«, meinte Paul bestimmt. »Jedenfalls hat der Kerl gelogen und sich gewunden wie… wie Petrus beim ersten Hahnenschrei.«
»Ein dämlicher Vergleich«, maulte Peter. »Und gleich gar von einem, der dauernd mit falschem Namen durchs Leben stolpert.«
In fröhlichem Streit gingen die beiden zur Lände hinaus, um erst einmal ihr Tagwerk hinter sich zu bringen.
Später wagten sie noch einen Vorstoß beim Stadtschreiber, der schon bei ihrem Eintreten zu verstehen gab, daß er sehr beschäftigt sei. Konrad Orlos hatte das dritte Jahrzehnt noch nicht überschritten, aber eine gewisse Strenge, die von ihm ausging, ließ ihn älter erscheinen. Er war in dunkles Tuch gekleidet und trug die Tonsur.
»Was wünschen die Herren?« fragte er nicht unfreundlich.
»Wir hätten da ein paar Fragen betreffs der Vergangenheit und einiger strittiger Vorkommnisse in dieser Stadt«, tat Peter kund.
»Ah, das Recht und die Historie.« Konrad Orlos lehnte sich mit leuchtenden Augen zurück, als verfüge er plötzlich über alle Zeit der Welt. »Da rennt Ihr bei mir offene Türen ein. Fragt nur zu!«
»Es heißt, daß vor etlichen Jahren eine Schar Juden zu Tode gekommen sei. Wir wüßten gern mehr darüber.«
»Warum interessiert Ihr Euch ausgerechnet für die Juden?« fragte der Schreiber mit unverhohlener Enttäuschung.
»Nun«, begann Peter, »Ihr wißt sicher von den seltsamen Morden in der letzten Zeit und weil der Flößer Jakob Krinner…«
»Jajaja«, unterbrach Orlos. »Jetzt erkenn’ ich Euch wieder. Ihr seid der junge Mann, der… nun sagen wir, etwas derangiert als Fürsprech aufgetreten ist.«
Diesmal war es an Paul, hämisch zu grinsen, während Peter errötete.
»Ich, ich meine wir… jedenfalls wurden zuletzt die Juden verdächtigt und jemand behauptete, es könne ein Racheakt der Juden sein.«
»Hm«, suchte sich Konrad Orlos zu erinnern. »Ich weiß darüber kaum mehr als Ihr, denn seht, die Chronik dieser Stadt vermerkt ausführlich nur Ereignisse von Bedeutung. Es soll an einem Freitag im Weinmonat des Jahres 1285 gewesen sein, daß Angehörige dieses dunklen Volkes einen Christenknaben mordeten und ausbluten ließen, um seinen Lebensquell für satanische Riten ihres Sabbats zu gebrauchen und Geister von Verstorbenen damit auferstehen zu lassen. Die Bürger rotteten sich daraufhin zusammen und fielen wütend in die Judengasse ein. Es heißt, sie hätten die Teufelsbündner in ihrer Lasterhöhle, die diese als Haus des Gebets ausgaben, eingeschlossen und allesamt verbrannt. Ich mag dies nicht recht glauben, denn wer gefährdet schon sein eigenes Haus, wenn er nur einen Misthaufen beseitigen will, und ein Brand hätte doch womöglich die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt.«
»Waren sie denn schuldig?« forschte Peter.
»Im Sinne der reinen Lehre, die sie zu Gottesmördern erklärt, ja. Aber ob sie gerade diesen einen Mord an dem Knaben verübt haben, weiß Gott? Doch was tut dies jetzt noch zur Sache? Habt Ihr nicht noch andere Fragen?«
»Es ist in diesen Tagen wieder viel die Rede von Feindschaften innerhalb der Stadt und zwischen Rudolf und Ludwig und zu den Österreichern. Ich bin noch nicht lang genug in München, um Ursachen und Beweggründe für diesen Haß zu kennen. Hättet Ihr die Güte…?«
Konrad Orlos wies den beiden eine Bank zu, bevor er weit ausholte. »Ich erinnere mich noch genau dieses Apriltages im Jahre 1315…«
Er schilderte weitschweifig den prachtvollen Einzug König Ludwigs in seine künftige Residenzstadt und den Bruderkuß von Herzog Rudolf, der Judas zur Ehre gereicht hätte. Ludwig habe nach den Feiern seine Gegner aus der Stadt vertreiben und ihre Häuser einebnen lassen. Doch der Friede habe nicht lange gewährt, und es hätten sich merkwürdige Verbindungen entwickelt. Etlichen Großkaufleuten aus den alteingesessenen Geschlechtern sei es seit langem ein Dorn im Auge gewesen, daß rührige Handelsherren geringerer Nobilität nachgedrängt und Mitsprache gefordert hätten. Die Vornehmen hätten am Stadtrecht Rudolfs festhalten wollen, kurioserweise unterstützt von Schustern und ähnlich gesinnten Handwerksverbänden, die um ihre Privilegien gebangt hätten. So sei auch die Handwerkerschaft gespalten gewesen, und der Großteil habe zusammen mit nachrangigen Kaufleuten schließlich dem
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