Der Wachsmann
müssen den Kerl suchen.«
»Da brauchst du nicht lange suchen«, knurrte Paul. »Es ist der Hauswirt, bei dem der verdammte Schuhflicker zur Miete wohnt. Du weißt schon, das Eckhaus gegenüber den Pütrichs.«
»Du meinst, der Füss steckt da mit drin?« fragte Peter erstaunt.
»Wer weiß? Zuzutrauen wär’s ihm. Ich erzähl’ dem Moralapostel jetzt die Geschichte von einem gefallenen Engel. Hör zu! Als ich letzte Nacht nach Hause ging und in meiner Erinnerung noch von süßen Tittchen und festen Schenkeln schwelgte, da kreuzte doch tatsächlich sie wieder einmal meinen Weg. Fast hätte ich sie nicht erkannt, aber es gibt keinen Zweifel.«
»Sprich deutlicher!« forderte Peter nun ungeduldig.
»Wie ich gerade den Sendlinger Turm passiere und mich gegenüber dem Haus der Pütrichs entlanghangle, da seh’ ich einen hellen Mantel blitzen, und eine Weibsperson huscht vom Eckhaus des Rabeneckers herüber zu den Pütrichs, und gleich darauf hat sie der dortige Eingang verschluckt. Ich könnte schwören beim Strick des Judas, daß es niemand anderer war als Birgit Pütrich. Und jetzt frage ich dich: Was tut eine ehrenwerte Dame um diese Zeit in einem fremden Haus? Etwa beim Füss ein paar Schuhe anmessen lassen? Oder sucht sie einen anderen Leisten für ihr Futteral?«
»Du meinst…?«
»Was denn sonst, mein tugendhafter Freund?«
»Aber sie ist dem heiligen Sakrament der Ehe verpflichtet!« entrüstete sich Peter.
»Sodom und Gomorrha eben«, erklärte Paul achselzuckend. »Du willst es ja nicht wahrhaben.«
»Ob der Alte davon weiß?«
»Ich glaube kaum, daß er’s dulden würde.«
»Aber überleg doch! Der Alte ist ein hochangesehener Kaufmann, der Schuster ein Niemand.«
»Wenn der Bauer seinen Acker nicht bestellt«, erklärte Paul wissend, »dann nistet sich eben Unkraut darin ein, und das hat kräftige Wurzeln.«
»Aber ausgerechnet der Füss«, wunderte sich Peter, dem diese mißratene Wahl noch mehr zuwider war als die Tatsache an sich. »Dieser knorrige Widerling, der noch dazu keinen Pfennig besitzt. Was treibt eine blühende Rose dazu, sich an einen solchen Kerl wegzuwerfen?«
»Vielleicht hat er einfach das bessere Werkzeug?« mutmaßte Paul grinsend.
»Aber es könnte doch auch dieser Rabenecker sein, mit dem sie turtelt«, gab Peter zu bedenken.
»Das glaube ich kaum«, urteilte Paul. »Seine Alte hat ihn unter der Fuchtel, während die Frau des Schusters vor einigen Monaten das Zeitliche gesegnet hat.«
»Und außerdem murmelte sie mir gegenüber, als ich sie zum ersten Mal aus diesem Haus kommen sah, etwas von ›Schuster‹ und ›Schlupfschuhen‹, und sie wirkte dabei höllisch aufgeregt.« Peter räumte das unvermeidlich Erscheinende widerwillig ein. »Laß uns gehen«, drängte er, »und den Rabenecker befragen.«
Paul bestand darauf, seinem geplagten Körper wenigstens noch ein bescheidenes Frühstück einzuverleiben, ehe sie sich zu dem Kaufmann begaben.
»Ihr habt Glück«, beschied der sie, »daß Ihr mich bei meiner Vielzahl von Verpflichtungen überhaupt antrefft.«
Heinrich Rabenecker war deutlich fülliger als Peter, reichte aber an Pauls Beleibtheit noch nicht heran. Er hätte trotz seiner vornehm erscheinenden Kleidung ziemlich durchschnittlich gewirkt, wären da nicht die scharfen Gesichtszüge und ein Paar stechender Augen gewesen, die ihm etwas Raubvogelartiges gaben.
Doch selbst Raubvögel sind fürsorglich gegenüber ihrer Brut. Fast gleichzeitig mit dem Eintreffen der beiden Freunde kletterte rücklings vom Obergeschoß ein munterer, blondgelockter Zwerg herab, gefolgt von seiner Amme. Das Bürschlein tippelte freudestrahlend und quäkend auf den Kaufmann zu. Der hob es hoch und herzte es ungeniert.
»Euer Söhnchen?« fragte Peter anteilnehmend.
»Wie? Äh… nein. Es ist der Balg des Schusters.« Er setzte das Kind rasch wieder ab und übergab es der Obhut der Amme.
»Verzeiht unser unangemeldetes Kommen!« bat Peter nun. »Aber als Kaufmann habt Ihr sicher Verständnis dafür, daß es die Gunst der Stunde zu nützen gilt und der Säumige keinen Gewinn erzielt.«
»Ihr wollt ein Geschäft vorschlagen?« fragte Rabenecker, nun schon deutlich interessierter.
»Das hängt ein wenig davon ab, was Ihr uns für Konditionen bieten könnt«, ließ Paul sich wichtigtuerisch vernehmen.
»Worum handelt es sich denn?«
»Nun, es ist so…« begann Peter umständlich, »daß wir uns ein Zubrot einrichten wollen. Wir dachten da an eine Mühle, einen Fuhrbetrieb
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