Der Wachsmann
Herbst des Lebens überraschen zu lassen.
Rudolf, damals gerade neunzehn Jahre alt und volljährig, voller Tatendrang und ehrgeiziger Pläne, machte sich sogleich ans Regieren, beanspruchte die Vormundschaft über Ludwig und versuchte, die rührige Mutter ins höfische Leben abzudrängen. Anfangs regierte er keineswegs ungeschickt, und die ebenfalls noch junge Stadt München verdankte ihm unter anderem ihr ältestes Stadtrecht, das Rudolfinum. Mit den Jahren aber übte er sich in der Kunst, aufs falsche Pferd zu setzen, und brachte es darin zunehmend zur Meisterschaft. So überwarf er sich alsbald mit Mutter, Bruder und Verwandten aus Österreich und verlor dabei beträchtlich an Ansehen und Besitz.
Nachdem Ludwig die Volljährigkeit erlangt hatte, mußte er feststellen, daß der ältere Bruder eine recht eigenwillige Vorstellung vom Teilen hatte, selbstherrlich über das gemeinsame Erbe verfügte und die Regierung weitgehend für sich beanspruchte. Darüber kam es zum offenen Streit, der freilich niemandem zum Nutzen gereichte außer der Zunft der Waffenschmiede. »Der Bruder zog nun das Schwert wider den Bruder«, vermerkte der Chronist bitter. Die feindlichen Parteien überboten sich im Plündern und Brandschatzen als wäre es der Brüder erklärtes Ziel, Könige einer Wüstenei zu werden, und Ludwig tat sich dabei mit jugendlichem Eifer hervor, als gelte es, nach den ritterlichen Lehrjahren die Gesellenprüfung im Mordhandwerk abzulegen. Bald jedoch, ob nun aus Einsicht oder Ermüdung, gesellte sich Besonnenheit zu seinen zahlreichen guten Anlagen, und er verlegte sich aufs Regieren. Er reichte Rudolf die Hand zur Versöhnung und bewies diplomatisches Geschick bei der ihm angetragenen Vormundschaft über die niederbayerischen Vettern. Doch hiermit brachte ungewollt nun er die österreichische Verwandtschaft gegen sich auf, die um ihren Einfluß in Niederbayern fürchtete.
Folgerichtig für die streitlustige Stimmung jener Tage kam es zum Scharmützel bei Gammelsdorf, wo Ludwig obsiegte. Sein Ansehen stieg dadurch in den Augen seiner Zeitgenossen so gewaltig, daß er nach dem unerwarteten Tod des römisch-deutschen Königs plötzlich als aussichtsreicher Kandidat für die Königswürde erschien. Die Habsburger allerdings forderten vehement den Thron für Vetter Friedrich. Die Kurfürsten wiederum, mehr am Erhalt ihrer Macht als an einem starken Königtum interessiert, waren sich zwar einig im Bestreben, ihre Börsen durch Handsalben, das heißt fette Schmiergelder zu füllen, konnten sich aber auf keinen Kandidaten einigen. So erfolgte im Jahre 1314 eine verhängnisvolle Doppelwahl.
Den jungen Friedrich nannte man allgemein den Schönen. Inwieweit dies zutraf und mehr noch, inwieweit der Mensch überhaupt äußerer Schönheit Rechnung tragen soll, wo doch schon der heilige Bernhard schreibt, daß nur innere Schönheit wahren Glanz hervorbringt, das sei hier dahingestellt. Zweifellos aber erfüllte ihn beträchtlicher Ehrgeiz, und so dachte er keinesfalls an Verzicht, sondern suchte seine Wahl mit dem Schwerte zu bekräftigen. Mehrfach lagen sich in der Folgezeit die feindlichen Heere gegenüber, ohne daß es zur entscheidenden Schlacht kam. Doch nun im Jahre 1319, in dem die schrecklichen Ereignisse, von denen wir berichten wollen, sich zutrugen, deutete vieles darauf hin, daß die königlichen Gegner – des abwartenden Taktierens, der Entbehrungen und der finanziellen Aufwendungen müde – endlich die Entscheidung auf dem Schlachtfeld suchten.
Herzog Rudolf, der bei der Königswahl natürlich gegen seinen ungeliebten Bruder gestimmt hatte und damit plötzlich zum Parteigänger der Habsburger geworden war, hatte inzwischen resigniert, weitgehend auf seine Herrschaftsrechte verzichtet und sich kränkelnd und schmollend auf seine Burg zu Wolfratshausen zurückgezogen. Seine ehrgeizige Gemahlin indes wollte sich damit nicht so einfach abfinden, und wie der Waidmann um die Gefährlichkeit einer verletzten Wölfin weiß, so fürchtet der Umsichtige die Rache eines enttäuschten Weibes.
Auch die Münchner Bürgerschaft war unweigerlich in den Konflikt der fürstlichen Streithähne hineingezogen worden, hatte aber letztlich wie der lachende Dritte im gefährlichen Spiel davon profitiert, daß die Brüder mit immer neuen Privilegien um die Zuneigung und Unterstützung der Bürger gebuhlt hatten. Inzwischen waren die Parteiungen in der Stadt aufgelöst, Ludwigs Gegner vertrieben und die Bewohner froh darüber,
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