Der Wachsmann
wolle sie ihn für ewige Zeiten festhalten. Jakob entwand sich vorsichtig der Umklammerung und drehte sich ihr zu. Zwei große dunkle Augen blickten ihn liebevoll und zugleich voller Besorgnis an.
»Liegst du schon lange wach? Du hättest mich wecken sollen.«
»Ich hab’ dich einfach noch spüren wollen und hab’ geglaubt, du hast den Schlaf nötig.«
»Ich möcht’ ja auch noch nicht fort, aber es muß sein.«
Sie legte ihren Kopf auf seine Brust, drückte ihn wieder fester.
»Jakob!«
»Ja.«
»Ich hab’ schreckliche Angst!«
»Aber, Lies, wovor denn?«
Seine Stimme sollte beruhigend klingen, obwohl er selbst Beklemmung verspürte und ahnte, daß die Besorgnis seines Weibes diesmal ernster zu sein schien.
Elisabeth Krinner war im Grunde nicht von ängstlicher Wesensart, sondern beherzt, geradeheraus und zupackend. Sie versorgte umsichtig den kleinen Hof, obwohl sie häufig damit allein gelassen war. Drei gesunde und kräftige Söhne hatte sie ihrem Jakob geboren, der jüngste gerade drei Jahre alt. Doch Lies hatte noch eine weitere Gabe, Segen und Fluch zugleich: Sie spürte oftmals bevorstehende Ereignisse, sah freudige Entwicklungen voraus und ahnte Unheil und Tod.
»Jakob, ich hab’ eine schreckliche Nacht gehabt. Mir war, als säß’ die Drud auf meiner Brust. Ich konnte kaum atmen, und der Alp hat nicht mehr aufgehört. Vom Wasser hat mir geträumt. Hoch angeschwollen war’s, reißend und voll tückischer Strudel. Und ein Haufen kleine Fische ist immer wieder aus dem Wasser gehüpft.«
»Das ist doch ein gutes Zeichen. Von Fischen träumen heißt, daß Geld ins Haus kommt. Und wenn es schlecht kommt, dann bedeutet es höchstens etwas Regen.«
»Nein, Jakob, hör mir zu! Plötzlich sind sie alle aufs Land gesprungen und auf einem Fleck mit weißem Sand verreckt. Grausig hat das ausgeseh’n, wie sie so gezappelt haben. Und die toten Fischaugen haben mich angeglotzt, vorwurfsvoll, als hätt’ ich sie umgebracht. Das bedeutet Streit und Unheil.« Und kaum mehr hörbar fügte sie hinzu: »Und vielleicht auch Tod.«
»Lies, Lies, du hörst zuviel auf das Geschwätz der alten Weiber.« Er lachte, aber es klang nicht wie sein gewohntes, herzliches Lachen, mit dem er auch in schwierigen Augenblicken seine Frau immer wieder zu trösten und aufzuheitern verstand. Diesmal war ihm selbst unwohl zumute, und er versuchte sich Mut zu machen, indem er sich seine Fähigkeiten und gut überstandene Wagnisse ins Gedächtnis rief.
»Jakob, ich weiß, du bist nicht leichtfertig. Aber es sind zu viele Zeichen. Ich hab’ seit Tagen die Raben gehört. Und der gestrige Johannitag war völlig verregnet. Der Gewittersturm hat in der Nacht die Feuer gelöscht, und kaum einer hat sich hinausgetraut, um die Kräuter zu holen, die wir für ein gutes Jahr brauchen.«
Am Vorabend des 24. Juni wurden allerorts hohe Holzhaufen aufgeschichtet, und wer das lodernde Feuer übersprang, der konnte sich Schutz gegen allerlei Krankheit erwerben. Die Feiernden bekränzten sich mit gelben Johanniskräutern, und hängte man sie nach dem Tanz ums Feuer, zu Büscheln gebunden unters Dach, so waren Haus und Bewohner geschützt vor Blitz-und Hagelschlag, aber auch vor den Nachstellungen böser Geister und dem Schadenzauber übler Nachbarn. Die Kirche, obwohl der Zauberei und dem Aberglauben abhold, verbot das Sammeln der Kräuter nicht, sofern es in frommer Gesinnung und nicht unter dem Gemurmel von Zaubersprüchen geschah.
»Jakob, geh nicht, nur dieses eine Mal! Ich bitt’ dich, beim Leben unserer Kinder!«
»Lies, du weißt, ich steh’ im Wort und in der Schuld. Ich kann nicht anders. Du weißt auch, was ich ihm verdanke. Hätt’ er sich nicht für mich verwendet, dann hätten wir vielleicht schon nichts mehr zum Beißen.«
»Aber du hast dir doch gar nichts zu schulden kommen lassen. Vielleicht war alles nur ein Versehen oder gar ein abgekarteter Betrug.« Ihr Tonfall wurde vorwurfsvoll und bitter. »Wer wird’s dir danken, wenn jetzt etwas passiert? Was kümmert denn den Kaufmann dein und unser Leben wirklich? Einen Dreck, sag’ ich, wenn er auch nur einen Pfennig verliert. Sei doch nicht immer so gutgläubig! Vielleicht benutzt er dich nur. Du setzt dein Leben aufs Spiel, während er sich die Hände reibt.«
Ihr Gesicht glühte jetzt fast, und er fühlte sich heftig zu ihr hingezogen ob der Leidenschaft, mit der sie um ihn kämpfte. Aber zugleich spürte er, wie die eigene Unsicherheit in ihm wuchs und die Oberhand zu
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