Der Wächter
der Villa Rospo verbliebene Stammpersonal umfasste zehn Personen, Oberkoch Hachette und Mr. Yorn, den Gärtner, eingerechnet. Die Sicherheitsvorkehrungen waren beachtlich. Die einzige echte Gefahr für Fric bestand also darin, dass irgendein Irrer Channing Manheim attackierte und dem Jungen seinen Vater nahm.
Ethan drückte den Knopf.
Der Aufzug setzte sich wieder in Bewegung und hielt nach einem kurzen Augenblick auf der oberen Ebene der Tiefgarage.
Vielleicht musste Ethan gleich auf eine regennasse Straße treten, direkt in den Weg eines außer Kontrolle geratenen Chryslers.
Die Tür glitt beiseite und gab den Blick auf nichts Außergewöhnliches frei, auf nichts als die Betonwände einer Tiefgarage und im Neonlicht aufgereihte Fahrzeuge.
Während Ethan zu seinem Wagen ging, beruhigte sich sein gehetzter Atem. Sein jagendes Herz schlug nicht nur langsamer, sondern sank auch aus dem Hals wieder in die Brust, wo es hingehörte.
Am Steuer sitzend, betätigte er unverzüglich die Zentralverriegelung.
Durch die Windschutzscheibe sah er nichts als eine mit Wasserflecken und Ruß überzogene Betonwand. Hier und da waren im Lauf der Zeit Kalkblüten an die Oberfläche getreten.
Unwillkürlich meldete sich Ethans Phantasie und suchte in den Flecken nach Bildern, so wie sie manchmal in flüchtigen Wolkenformen Großwild jagte und ganze Menagerien sammelte. Auf dieser Wand sah er nur verfaulende Gesichter und ein Knäuel grausam ermordeter Gestalten. Er hatte das Gefühl, vor einem gespenstischen Fresko der vielen Opfer zu sitzen, in deren Namen er als Polizist Gerechtigkeit gesucht hatte.
Ethan legte den Kopf zurück, schloss die Augen und ließ die Anspannung aus sich weichen.
Nach einer Weile überlegte er sich, ob er das Radio anschalten sollte, um sich die Zeit zu vertreiben, bis Hazard eintraf. Vielleicht schafften es ja Sheryl Crow, die Barenaked Ladies oder Chris Isaak – natürlich ohne Geigen, Pauken und Jagdhörner –, seine Stimmung zu heben.
Er hatte schon die Hand am Schalter, da hielt er inne. Womöglich boten die Sender nicht wie üblich Musik, Nachrichten und Interviews, sondern nur die nach Hannah klingende Stimme, die vergeblich auf allen Frequenzen versuchte, zu ihm zu sprechen.
Ein Klopfen ans Glas – tack , tack , tack – schreckte ihn auf. Hazard Yancy, der eine umgeschlagene Seemannsmütze auf dem Kopf trug, spähte durchs Beifahrerfenster. Bei seinem Blick wäre selbst Essig geronnen.
Ethan löste die Zentralverriegelung.
Hazard quetschte sich auf den Beifahrersitz, als müsste er sich in einen Autoskooter zwängen, und zog die Tür zu. Obwohl seine Knie ans Armaturenbrett stießen, scherte er sich nicht um die Taste, mit der man elektrisch den Sitz zurückstellte. Er sah nervös aus. »Na, hat man Dunny gefunden?«, fragte er.
»Wer?«
»Die im Krankenhaus.«
»Nein.«
»Wieso bist du dann hier?«
»Ich habe mit dem Arzt gesprochen, der den Totenschein ausgestellt hat, um der Sache auf den Grund zu gehen.«
»Hast du irgendwas erreicht?«
»Nee, ich bin wieder da, wo ich angefangen habe – ich glotze in die Röhre.«
»Nicht gerade ein abendfüllendes Programm«, sagte Hazard. »Sam Kesselman hat die Grippe.«
Ethan hatte sich darauf verlassen, dass Kesselman, der den Lampenmord an Mrs. Reynerd untersuchte, das unvollendete Drehbuch ihres Sohnes las und das reale Vorbild des mordgierigen Professors, der dort beschrieben wurde, dingfest machte.
»Wann ist er wieder im Dienst?«, fragte Ethan.
»Seine Frau sagt, er behält nicht mal Hühnersuppe bei sich. Schaut ganz so aus, als würde er erst wieder nach Weihnachten bei uns auftauchen.«
»Ist noch jemand anders an dem Fall dran?«
»Ganz am Anfang war Glo Williams mit dabei, aber als sich nichts ergeben hat, ist er ausgeschieden.«
»Könnte man ihn wieder heranziehen?«
»Nee, der beschäftigt sich gerade mit dem Fall von diesem elfjährigen Mädchen, das jemand vergewaltigt und in Stücke gehackt hat. War groß in den Nachrichten. Für was anderes hat er keine Zeit.«
»Mann, die Welt wird jede Woche übler.«
»Stündlich, sonst wären wir ja arbeitslos. Übrigens, den Fall Mina Reynerd hat man ›den Vamp mit der Lampe‹ getauft, weil Mina auf alten Bildern so aussieht wie einer von den Vamps aus der Stummfilmzeit, wie Theda Bara oder Jean Harlow. Mit der Sache ist ausschließlich Kesselman beschäftigt, und das ist nicht sein einziger ungelöster Fall.«
»Dann wird er sich womöglich auch nach Weihnachten
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