Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
nicht gleich als Erstes damit befassen.«
    Hazard starrte auf die Betonwand vor ihnen, als wollte auch er sich eine Menagerie zusammenstellen. Es war zwar möglich, dass er dort Gazellen und Kängurus sah, aber wahrscheinlich konnte er nicht umhin, misshandelte Kinder zu sehen, erwürgte Frauen und von Schüssen zerfetzte Männerleichen.
    Erinnerungen an unschuldige Opfer, an seine Phantomfamilie, die ihn immer begleitete. Sie war so wirklich für ihn wie die Dienstmarke, die er trug, wirklicher jedenfalls als die Pension, in deren Genuss er vielleicht nie kommen würde.
    »Nach Weihnachten ist es zu spät«, sagte Hazard. »Ich hatte einen Traum.«
    Ethan sah ihn fragend an. »Was für einen Traum?«, sagte er schließlich.
    Hazard ließ die massigen Schultern kreisen und schob sich zurück, um mehr Beinfreiheit zu haben. Er sah so eingezwängt aus wie ein Grislibär in einem Vogelkäfig. Auf die Betonwand starrend, sagte er nüchtern: »Du warst mit mir in Reynerds Apartment. Er hat dir in den Bauch geschossen. Als Nächstes sind wir in einem Rettungswagen. Du wirst nicht überleben. An der Decke hängt Weihnachtsschmuck, Flitter, kleine Glöckchen. Du bittest mich um drei davon. Ich nehme sie ab und will sie dir geben, aber du reagierst nicht mehr, du bist tot.«
    Auch Ethan betrachtete wieder die Wand der Tiefgarage. Zwischen den verwesenden Leichen, die er in die Flecken und Unregelmäßigkeiten hineinprojiziert hatte, erwartete er, sein eigenes Gesicht zu sehen.
    »Als ich aufwache«, fuhr Hazard fort, ohne den Blick vom Beton abzuwenden, »ist jemand bei mir im Zimmer. Er beugt sich übers Bett, ein dunkler Schatten in der Dunkelheit. Ein Mann. Ich springe auf, will ihm an den Kragen, aber er ist nicht mehr da. Jetzt ist er auf der anderen Seite des Zimmers. Als ich mich auf ihn stürze, bewegt er sich zur Seite. Er ist blitzschnell. Er geht nicht, er gleitet . Mein Revolver ist im Halfter, das über einem Stuhl hängt. Ich schnappe ihn mir. Der Mann gleitet dahin, schnell, zu schnell für mich, so als wollte er mit mir spielen. Wir bewegen uns im Kreis. Ich komme zu einem Lichtschalter, knipse die Lampe an. Jetzt ist er an meinem Kleiderschrank und hat mir den Rücken zugewandt. Es ist ein Spiegelschrank. Er tritt in den Spiegel. Verschwindet einfach darin.«
    »Das ist noch immer der Traum, oder?«, sagte Ethan vorsichtig.
    »Ich hab doch gesagt, ich wache auf , und jemand ist bei mir im Zimmer«, sagte Hazard. »In der Dunkelheit hab ich ihn nicht richtig sehen können und dann, als es hell wurde, nur ganz kurz im Spiegel, aber ich glaube, es war Dunny Whistler. Aber kaum mache ich die Schranktür auf, ist er nicht mehr da. Wo ist er – etwa in dem verfluchten Spiegel? «
    »Manchmal«, sagte Ethan, »wacht man auf, aber das Aufwachen ist nur ein Teil von dem Albtraum, der einfach weitergeht.«
    »Ich durchsuche die Wohnung, finde aber niemand. Und als ich wieder ins Schlafzimmer komme, sehe ich das da .«
    Ethan hörte das silberhelle Klingeln von Glöckchen.
    Er wandte den Blick von der Betonwand ab.
    Hazard hielt eine Schnur mit drei übereinander hängenden Glöckchen, die genauso aussahen wie die im Rettungswagen.
    Die Blicke der beiden trafen sich.
    Ethan wurde klar, dass Hazard zwar nicht erraten hatte, was für Geheimnisse Ethan für sich behielt, aber dass es welche gab, hatte er sofort gewusst.
    Die verblüffenden Dinge, die Ethan – und nun auch Hazard – innerhalb von kaum dreißig Stunden zugestoßen waren, dazu der unerklärliche Fall des tot umherwandelnden Dunny, der womöglich an der Ermordung Reynerds beteiligt gewesen war – dies alles musste irgendwie mit dem Inhalt der sechs schwarzen Schachteln und den Drohungen gegen Manheim zu tun haben.
    »Was verschweigst du mir?«, fragte Hazard geradeheraus.
    Nach einer langen Pause sagte Ethan: »Ich habe auch drei Glöckchen.«
    »Hast du sie auch im Traum bekommen, so wie ich?«
    »Nein, kurz bevor ich gestern Abend in einem Rettungswagen gestorben bin.«

55
    Frei von seichter Musik und von Stimmen aus dem Jenseits führte die Treppe ins tiefste der drei Untergeschosse hinab.
    Ethan und Hazard folgten dem vertrauten, hell erleuchteten weißen Flur am Gartenzimmer vorbei zu einer Doppeltür. Dahinter befand sich die Garage mit dem Fuhrpark des Krankenhauses.
    Zwischen anderen Fahrzeugen standen vier hohe Rettungswagen. Leere Parkbuchten wiesen darauf hin, dass ein Teil der Flotte an diesem Regentag im Einsatz war.
    Ethan ging zu dem

Weitere Kostenlose Bücher