Der Wächter
gekritzelt, vielleicht gar an eine der schäbigen Wände, die es mit dem Schmierigkeitsgrad einer öffentlichen Toilette aufnehmen konnten. Corky war das egal. Er hatte Hokenberry sowieso nicht seinen echten Namen genannt.
Da das Gedächtnis des Hausherrn etwa so verlässlich gewesen war wie das eines Schweinenackens, hatte er bestimmt zumindest Corkys Telefonnummer auf einem Zettel notiert, der irgendwo im Bungalow herumlag. Wenn die Polizei ihn fand, konnte sie mit der Nummer allerdings nicht das Mindeste anfangen.
Alle vier bis sechs Wochen kaufte Corky sich ein neues Mobiltelefon. Ein solches hatte dann immer eine neue Nummer und ein jungfräuliches Konto unter einem falschen Namen mit einer falschen Adresse. Er benutzte diese Telefone für alle heiklen Anrufe, die mit seinem Wirken im Dienste des Chaos zu tun hatten.
Die Handys stammten von einem anarchistischen Multimillionär namens Mick Sachatone, der ein Computerhacker sondergleichen war. Mick verkaufte sie für sechshundert Dollar pro Stück und garantierte ihre Verwendbarkeit für dreißig Tage.
Normalerweise dauerte es etwa zwei Monate, bis die Telefongesellschaft merkte, dass ihr System manipuliert worden war. Dann machte man das schwarze Konto ausfindig, schaltete die Nummer ab und suchte den Übeltäter. Inzwischen hatte Corky das betreffende Telefon längst in einer Mülltonne versenkt und sich ein neues besorgt.
Es ging ihm nicht darum, Geld zu sparen, sondern seine Anonymität zu bewahren, wenn er sich gesetzwidrigen Handlungen hingab. Der kleine Beitrag zum finanziellen Ruin der Telefongesellschaft war eine hübsche Dreingabe.
Ned Hokenberrys Schatztruhe befand sich in einem Schlafzimmer, das nur geringfügig zivilisierter aussah als die Winterschlafhöhle eines Bären. Der Boden war übersät mit schmutzigen Socken, Zeitschriften, leeren Tüten Röstspeck, leeren Pappbehältern von Kentucky Fried Chicken und sauber abgelutschten Hühnerknochen. Das Geld hatte Hokenberry in einen leeren Dörrfleischkarton gestopft und unters Bett geschoben.
Von den zwanzigtausend waren nur noch vierzehntausend übrig. Der Rest war offenbar für Fastfood und fetthaltige Snacks draufgegangen.
Corky nahm das Geld und ließ den Dörrfleischkarton liegen.
In der Essecke neben dem Wohnzimmer lag Hokenberry, noch immer tot und nicht weniger hässlich als zuvor.
Bei den drei früheren Zusammenkünften hatte Corky herausbekommen, dass Hokenberry keinen Kontakt mehr mit seinen Angehörigen hatte. Außerdem war er unverheiratet und zudem weder der geborene Charmeur noch der Typ, bei dem Leute aus dessen Freundeskreis einfach mal unangekündigt vorbeischauten. Wahrscheinlich wurde der frühere Tourneebegleiter erst entdeckt, wenn das FBI an die Tür klopfte, nachdem der junge Mr. Manheim gekidnappt worden war.
Um zu verhüten, dass die Leiche von einem neugierigen Nachbarn oder dem Briefträger entdeckt wurde, nahm Corky die Hausschlüssel von ihrem Haken in der Küche und schloss beim Gehen die Tür ab. Die Schlüssel warf er ins wild wuchernde Gestrüpp.
Wie ein knurrender Höllenhund, den man in den himmlischen Hallen losgelassen hatte, bellte und grollte der Donner in den tiefen, grauen Wolken.
Corkys Herz machte vor Freude einen Sprung.
Er hob den Blick in den fallenden Regen und hielt Ausschau nach Blitzen, bis ihm einfiel, dass die ja vor dem Donner gekommen sein mussten. Wenn es tatsächlich geblitzt hatte, dann hatte der Strahl entweder die Wolken nicht durchdrungen oder war in einem weit entfernten Teil der riesigen Stadt eingeschlagen.
Der Donner musste ein Omen sein.
Corky glaubte weder an Gott noch an den Teufel. Ebenso wenig glaubte er an übernatürliche Dinge jedweder Art. Er glaubte nur an die Macht des Chaos.
Trotzdem entschloss er sich, den Donner als Omen aufzufassen, als Zeichen dafür, dass sein nächtlicher Ausflug zum Palazzo Rospo wie geplant ablaufen würde. Noch heute würde er mit dem betäubten Jungen nach Hause zurückkehren.
Selbst wenn das Universum eine dümmliche Maschine war, die eilig, aber ziellos vor sich hin ratterte und keinen anderen Zweck hatte, als sich irgendwann mit lautem Scheppern selbst zu zerstören, ließ es vielleicht ab und an einen Bolzen oder ein zerbrochenes Zahnrad fallen, aus dem ein nachdenklicher Mensch die Richtung vorhersagen konnte, die es als Nächstes anpeilte. Der Donner war so ein zerbrochenes Zahnrad, und aus seinem Klang und seiner Dauer las Corky zuversichtlich den Erfolg seines
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