Der Wächter
bleichen, im Dunst fluoreszierenden Rechtecke, auf die er nun zugeht. Es sind die großen Fenster des eleganten Restaurants am Meer, in dem Typhon ihn erwartet. Fast das ganze Leben lang hat Dunny seiner Umgebung keinerlei tieferen Sinn beigemessen; jetzt, wo er tot ist, sieht er Sinn in jeder Einzelheit der stofflichen Welt, und nicht wenig davon ist düster und verhängnisvoll.
Einer der Finger des Kais führt an den Restaurantfenstern vorbei. An einem der besten Tische sitzt Typhon, geschäftlich in der Stadt, doch momentan allein. Makellos gekleidet wie immer, hinterlässt er einen majestätischen Eindruck, ohne arrogant zu wirken. Durch die Glasscheibe begegnen sich die Blicke der beiden.
Einen Moment lang betrachtet Typhon seinen Schützling finster, ja geradezu streng, so als dächte er an Konsequenzen, die Dunny sich lieber nicht ausmalt. Dann bekommt sein rundes Gesicht Grübchen, und sein gewinnendes Lächeln erscheint. Er bildet mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole, die er auf Dunny richtet, als wollte er Hab ich dich erwischt ! sagen.
Durch Nebel, Glas und das Licht der Kerze auf dem Tisch könnte Dunny im Bruchteil einer Sekunde vom Kai zu dem Stuhl gegenüber Typhon reisen. Da so viele Leute im Restaurant sitzen, wäre ein derart unkonventioneller Auftritt jedoch äußerst indiskret.
Dunny geht um die Ecke zum Eingang und lässt sich vom Oberkellner durch das voll besetzte Restaurant zu Typhons Tisch führen.
Huldvoll erhebt sich Typhon, um Dunny zu begrüßen, und reicht ihm die Hand. »Es tut mir schrecklich Leid, Sie in einem derart kritischen Augenblick dieser Nacht aller Nächte rufen zu müssen, mein Lieber«, sagt er.
Die beiden setzen sich, und nachdem Dunny höflich den Kellner abgewehrt hat, der ihm einen Drink aufdrängen will, kommt er zu dem Schluss, dass es sich jetzt genauso wenig – und womöglich noch viel weniger – auszahlen wird, den Dummen zu spielen als bei dem letzten Gespräch in der Hotelbar. Typhon hat ausdrücklich verlangt, dass sie offen, ehrlich und geradeaus miteinander umgehen.
»Sir, bevor Sie etwas sagen – ich weiß, dass ich den Bogen wieder überspannt habe«, sagt Dunny, »und zwar indem ich an Hazard Yancy herangetreten bin.«
»Nicht, indem Sie an ihn herangetreten sind. Durch die Direktheit , mit der Sie das getan haben.« Typhon schweigt und nippt an seinem Martini.
Als Dunny sein Verhalten nun erläutern will, bittet der weißhaarige Grandseigneur ihn jedoch mit erhobener Hand um Geduld. Seine blauen Augen zwinkern fröhlich, während er noch einen Schluck Martini nimmt und es sich genießerisch munden lässt.
Als Typhon weiterspricht, geht es ihm offenbar erst einmal um Dunnys momentanes Auftreten: »Mein Lieber, Sie sprechen ein ganz klein wenig zu laut. Außerdem klingt Ihre Stimme so nervös, dass manch allzu neugieriger Gast auf Sie aufmerksam werden könnte.«
Das Klirren von Porzellan und Besteck, das kristallklare Klingen der Weingläser, mit denen angestoßen wird, die eleganten Töne des Pianisten, der sein Instrument eher streichelt als traktiert, und das Gemurmel vieler Gespräche schwillt hier nicht zu der Lautstärke an, die das Gespräch in jener Hotelbar so angenehm verschluckt hatte.
»Entschuldigung«, sagt Dunny.
»Es ist bewundernswert, dass Sie nicht nur für Mr. Trumans körperliches Überleben sorgen wollen, sondern auch für sein emotionales und psychisches Wohlergehen. Das liegt durchaus auch innerhalb des Rahmens Ihrer Befugnis. Aber im Interesse seines Klienten muss ein Beschützer wie Sie auf Umwegen operieren. Sie können ermutigen, inspirieren, erschrecken, verleiten, raten …«
»… und das Geschehen durch alles beeinflussen, was listig, gerissen und verführerisch ist«, beendet Dunny den Satz.
»Genau. Und durch die Art und Weise, wie Sie mit Aelfric umgegangen sind, haben Sie den Boden zwar ziemlich weit gespannt, aber überspannt haben Sie ihn noch nicht.«
Typhon spricht wie ein besorgter Lehrer, der es für nötig hält, einem schwierigen Schüler hilfreich zur Hand zu gehen. Dabei sieht er weder zornig noch verärgert aus, wofür Dunny recht dankbar ist.
»Indem Sie Mr. Yancy jedoch rundheraus gesagt haben, er solle nicht in jenes Haus gehen«, fährt Typhon fort, »und indem Sie ihm verraten haben, er werde zwei Kugeln in den Kopf bekommen, haben Sie in das eingegriffen, was zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich sein Schicksal war.«
»Ja, Sir.«
»Nun überlebt Yancy womöglich nicht aufgrund
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