Der Wächter
ihn immer noch. Immerhin hatte sie ihm ja auch geholfen, den Besitzer des Wagens aufzuspüren, der von den Überwachungskameras vor Channing Manheims Tor gefilmt worden war.
Während er die Nummer wählte, fürchtete er schon, dass sie womöglich bereits nach Hause gegangen war, aber sie war sofort am Apparat. »Du bist noch da«, sagte er erleichtert.
»Ehrlich? Und ich hab gedacht, ich wäre schon gegangen, um mir für den Feierabend eine Schachtel Hähnchenkeulen mit ’ner doppelten Portion Krautsalat zu besorgen. Nee, du Windhund, ich bin noch da, aber das macht mir nichts aus, weil sowieso nie jemand mit mir ausgeht.«
»Ich hab ihm schon gesagt, dass er ein Trottel ist, weil er Schluss mit dir gemacht hat.«
»Das hab ich ihm auch gesagt.«
»Jeder sagt ihm, dass er ein Trottel ist.«
»Ach ja? Vielleicht sollten wir uns dann alle mal zusammensetzen, um uns eine neue Strategie auszudenken. Offenbar hilft es nämlich nichts, wenn man ihm sagt, dass er ein Trottel ist. Ach, Mensch, ich mag ihn wirklich immer noch, Hazard!«
»Er ist eben noch nicht über Hannahs Tod hinweggekommen.«
»Nach fünf Jahren?«
»Als er sie verloren hat, hat er viel mehr als sie verloren, vor allem das Gefühl, dass sein Leben einen Sinn hat. Er sieht in der Welt keinen Zusammenhang mehr, und das muss sich erst wieder ändern. Nichts anderes braucht er nämlich.«
»Die Welt ist voll von attraktiven, intelligenten, erfolgreichen Typen, die selbst dann keinen höheren Sinn im Leben sehen würden, wenn der liebe Gott auf die Idee käme, es ihnen mit dem Rohrstock einzubläuen.«
»Hast du das aus dem Alten Testament?«
»Wieso muss ich mich bloß in einen Typ verlieben, der nach Sinn sucht?«
»Vielleicht, weil du das auch tust.« Dieser Gedanke brachte Laura zum Schweigen, und Hazard nutzte die Gelegenheit. »Du erinnerst dich doch an den Kerl, den du gestern Morgen für Ethan aufgespürt hast – Rolf Reynerd …«
»Der Wolf«, sagte Laura. »Rolf bedeutet ›berühmter Wolf‹.«
»Rolf bedeutet mausetot . Guckst du dir keine Nachrichten an?«
»Ich bin doch keine Masochistin, oder?«
»Dann schau mal in die Akten der Mordkommission.
Aber nicht jetzt gleich. Jetzt hätte ich da nämlich etwas, was du für mich – und Ethan – tun könntest, unter der Hand sozusagen.«
»Was brauchst du?«
Hazard warf einen Blick auf das Haus gegenüber. Es strahlte noch immer eine doppelte Atmosphäre aus, so als hätte eine Bilderbuchfamilie ihr Haus über dem Tor zur Hölle erbaut.
»Vladimir Laputa«, sagte Hazard und buchstabierte dann den Namen. »Krieg, so schnell du kannst, raus, ob jemand mit diesem Namen im Strafregister steht. Auch wenn es bloß um Alkohol am Steuer oder ’nen nicht bezahlten Strafzettel geht, ich will es wissen.«
Statt abzudrücken, zog Corky den Lauf wieder aus Daltons Mund. Der Stahl schabte an den Zähnen entlang, die sich durch die Unterernährung bereits gelockert hatten.
»Ein Schuss wäre zu angenehm für dich«, sagte Corky. »Wenn ich so weit bin, dich zu erledigen, wird es langsam vonstatten gehen … und denkwürdig.«
Er legte die Pistole beiseite, erzählte Dalton ein paar köstliche Lügen darüber, wie er sich angeblich der Leichen von Rachel und Emily entledigt hatte, und holte schließlich einen frischen Infusionsbeutel aus dem Kühlschrank.
»Heute Abend bringe ich jemand mit«, sagte er, während er den Beutel anschloss. »Als Publikum für deine letzten Qualen.«
In Daltons ausgemergeltem Gesicht glänzten halb versunkene Augen, umrahmt von einer Waschbärmaske aus aschgrauer Haut. Während Corky am Schlauch hantierte, folgten sie seinen Bewegungen, aber nicht mehr voller brennendem Hass, sondern von Angst erfüllt. Es war der gehetzte Blick eines Menschen, der endlich an die Kraft des Chaos glaubte und dessen Majestät begriff.
»Bei meinem neuen Projekt handelt es sich um einen zehnjährigen Jungen. Du wirst staunen, wer das ist, wenn ich euch einander vorstelle.«
Nachdem Corky den Infusionsbeutel ersetzt hatte, trat er zum Arzneischränkchen, dem er eine steril verpackte Spritze und zwei kleine Fläschchen mit Drogen entnahm.
»Ich werde ihn neben deinem Bett an einen Stuhl fesseln. Und wenn er nicht mit anschauen kann, was ich für dich vorgesehen habe, dann halte ich ihm mit Klebeband die Augen offen.«
Im Strafregister hatte Laura Moonves absolut nichts über Vladimir Laputa finden können, nicht einmal einen unbezahlten Strafzettel. Als sie Hazard nach einer
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