Der Wächter
knappen Viertelstunde zurückrief, konnte sie aber trotzdem mit interessanten Neuigkeiten aufwarten.
Bei der Mordkommission liege ein ungelöster Fall unter dem Namen Laputa vor. Mangels Indizien und weiterführenden Spuren werde momentan jedoch nicht ermittelt.
Vor vier Jahren sei eine Frau namens Justine Laputa, Alter 68 Jahre, bei sich zu Hause ermordet worden. Und beim Schauplatz des Verbrechens handele es sich just um die Adresse, die Hazard soeben observiere.
»Was hat man mit ihr gemacht?«, fragte Hazard, ohne das Haus aus den Augen zu lassen.
»Mit dem Computer komme ich nicht an die ganze Akte, nur an die Kurzfassung. Da steht, dass sie mit einem Schürhaken erschlagen wurde.«
Mina Reynerd war zwar in den Fuß geschossen worden, die eigentliche Todesursache jedoch waren Schläge mit einer Bronzelampe gewesen.
Ein Schürhaken, eine schwere Lampe. In beiden Fällen hatte der Mörder zu einem stumpfen Gegenstand gegriffen, der gerade bei der Hand gewesen war. Das war zwar noch kein Beweis für eine ähnliche Vorgehensweise desselben Täters, aber immerhin ein Anfang.
»Der Mord an Mrs. Reynerd war ungewöhnlich brutal«, fuhr Laura fort. »Laut Schätzung des Gerichtsmediziners hat der Mörder mit dem Schürhaken vierzig- bis fünfzigmal zugeschlagen.«
Mina Reynerds Tod durch eine Lampe war ähnlich brutal gewesen.
»Wer hat sich mit dem Fall beschäftigt?«, fragte Hazard.
»Unter anderem Walt Sunderland.«
»Ach, der.«
»Ich hatte Glück«, sagte Laura. »Vor fünf Minuten hab ich ihn am Handy erwischt. Ich hab ihm gesagt, ich könnte ihm jetzt nicht erklären, wieso, aber ich müsste wissen, ob er damals einen Verdächtigen hatte. Er hat nicht lange gefackelt und mir gleich gesagt, dass der Sohn des Opfers alles geerbt hätte. Ein arrogantes Arschloch sei das, meint Walt.«
»Lass mich raten: Der Sohn heißt Vladimir«, sagte Hazard.
»Vladimir Ilyich Laputa. Er lehrt an derselben Universität wie früher seine Mutter.«
»Wieso sitzt er dann nicht im Bau und tauscht Gefälligkeiten gegen Zigaretten?«
»Walt behauptet, dieser Laputa hat ein derart wasserdichtes Alibi, dass man damit unter dem Nordpol durchfahren könnte.«
Nichts auf dieser Welt war vollkommen. Ein Designer-Alibi mit dreifach genähten Kanten weckte bei den Ermittlern immer Verdacht, eben weil es künstlich wirkte und nicht natürlich.
Das Haus lauerte im Regen, als wäre es lebendig und wach. Die zwei erleuchteten Fenster glänzten wie schräg versetzte Augen.
In der Spritze mischte Corky einen Cocktail aus lähmenden Drogen zusammen, um seinen Gefangenen gefügig und unbeweglich zu machen, ohne ihn dabei gleichzeitig einzuschläfern.
»Morgen Früh bist du ebenso tot wie Rachel und Emily, und dann wird das hier das Zimmer des Jungen, dann bekommt der dein Bett.«
Ein Beruhigungsmittel oder eine halluzinogene Droge verabreichte Corky nicht. Wenn er lange vor Mitternacht zurückkehrte, sollte Dalton nicht benommen oder in Träumen verloren sein. Der üble Zeitgenosse sollte einen klaren Kopf haben, um auch das feinste Detail seines schon lange geplanten Todes wahrzunehmen.
»Ich habe so viel aus unserem gemeinsamen Abenteuer gelernt«, sagte Corky und führte die Nadel in die dafür vorgesehene Öffnung am Infusionsschlauch ein. »So viele gute Ideen sind daraus entstanden, bessere Ideen.«
Mit dem Daumen drückte er langsam den Kolben nach unten, um den Inhalt des Zylinders in die Kochsalzlösung zu spritzen, die in Daltons Vene sickerte.
»Die Erfahrungen, die der Junge in diesem Zimmer macht, werden teilweise so sein wie deine, aber abwechslungsreicher und schockierender.«
Nachdem er die volle Dosis verabreicht hatte, zog er die Kanüle aus dem Schlauch und warf die Spritze in den Abfalleimer.
»Schließlich wird die ganze Welt die Videos bestaunen, die ich versende. Dabei werden meine kleinen Filme einen ausgeprägten Unterhaltungswert besitzen, immerhin will ich ja ein Millionenpublikum im Fernsehsessel gefesselt halten.«
Die wackligen Zähne von Mr. Stinkerkäse klapperten bereits. Aus irgendeinem Grund verursachte diese Mixtur aus paralysierenden Drogen ein krampfhaftes Frösteln.
»Bestimmt ist der Junge begeistert, wenn er in seiner ersten Hauptrolle noch größere Massen fasziniert, als es seinem Vater je gelungen ist.«
Das Unwetter verlor an Kraft und schwächte sich zu einem windlosen Nieselregen ab. Wie der kalte Atem des unsichtbaren Mondes trieben Nebelschwaden durch die Straßen.
Hazard
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