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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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nicht, dass Sie Polizeibeamter sind, Mr. Truman.«
    Gartenzimmer nannte man im Polizeijargon die Kammer mit all den Leichen, die darauf warteten, in den Boden gepflanzt zu werden.
    »Mordkommission«, sagte Ethan, ohne zu erklären, dass er den Dienst quittiert hatte und weshalb.
    »Mein Mann hat so viele Uniformen verschlissen, dass er im März in Pension gehen kann. Ich mache Überstunden, damit ich nicht überschnappe.«
    Ethan verstand, was sie meinte. Viele Cops brachten ihre lange Laufbahn hinter sich, ohne sich allzu viele Gedanken darüber zu machen, dass am Ende doch alles auf Asche zu Asche und Staub zu Staub hinauslief. In den letzten Monaten vor ihrer Pensionierung gerieten sie dann in einen derart heftigen Spannungszustand, dass sie pfundweise verdauungsfördernde Mittel schlucken mussten, um nicht ständig unter Verstopfung zu leiden. Für ihre Ehefrauen war die Sache oft noch schlimmer.
    »Der Arzt hat den Totenschein unterschrieben«, sagte Schwester Jordan, »und dann ist Mr. Whistler hinunter in den Kühlraum gekommen, bis ihn das Bestattungsunter-nehmen abholt. Ach so … er kommt gar nicht zum Bestatter, oder?«
    »Jetzt ist es ein Mord«, sagte Ethan. »Da wird der Leichenbeschauer eine Autopsie machen wollen.«
    »Dann hat man bestimmt schon dort angerufen. Wir haben ein narrensicheres System.« Schwester Jordan sah auf ihre Uhr. »Aber wahrscheinlich hatte man noch keine Zeit, den Toten abzuholen, falls Ihnen das im Kopf herumgeht.«
    Ethan fuhr mit dem Aufzug hinab zu den Toten. Das Gartenzimmer befand sich im dritten und tiefsten Untergeschoss, gleich neben der Garage der Krankenwagen.
    Bei der Fahrt in die Tiefe erklang eine für Orchester aufbereitete Version eines alten Sheryl-Crow-Titels, dem man alle Erotik ausgepresst hatte, um ihn beschwingt und munter klingen zu lassen. Was blieb, war die Melodie, die sich wie eine Wursthülle um einen neuen, weniger schmackhaften Inhalt schloss. Auf dieser lädierten Welt wurden selbst die bedeutungslosesten Dinge – wie etwa Popmelodien – unweigerlich korrumpiert.
    Dunny war genauso alt gewesen wie Ethan, nämlich siebenunddreißig. Von ihrem sechsten bis zu ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr waren die beiden unzertrennlich gewesen. Sie waren im selben Viertel aus heruntergekommenen, mit zerbröckelndem Stuck geschmückten Bungalows aufgewachsen und hatten sich als Einzelkinder so nahe gestanden wie Brüder.
    Was sie verbunden hatte, war nicht nur die gemeinsame Armut gewesen, sondern auch die emotionalen und körperlichen Schmerzen, die ein Leben unter der Fuchtel eines versoffenen, jähzornigen Vaters mit sich brachte. Und der grimmige Wunsch zu beweisen, dass selbst aus Söhnen von mittellosen Säufern eines Tages etwas werden konnte.
    Dann hatten sie siebzehn Jahre kaum Kontakt zueinander gehabt und waren sich so fremd geworden, dass Ethan nur eine dumpfe Trauer verspürte. Trotz all der Dinge, die ihm momentan im Kopf herumgingen, verlor er sich in melancholischen Gedanken darüber, was hätte sein können.
    Dunny Whistler hatte die Bande zwischen den beiden jungen Männern zerrissen, als er sich für ein Leben außerhalb der Gesetze entschieden hatte, während Ethan sich dazu ausbilden ließ, denselben Gesetzen Geltung zu verschaffen. Die Armut und das chaotische Leben im Haushalt eines nur auf den eigenen Vorteil bedachten Alkoholikers hatte in Ethan ein Gefühl der Achtung vor Selbstdisziplin, Ordnung und einem Leben im Dienst von anderen entstehen lassen. Aufgrund derselben Erfahrungen sehnte Dunny sich nach sackweise Geld und nach so viel Macht, dass niemand je wieder wagen würde, ihm seine Regeln aufzuzwingen oder auch nur zu sagen, was er tun sollte.
    Im Rückblick hatten Ethan und Dunny schon seit der Pubertät unterschiedlich auf dieselbe Belastung reagiert. Vielleicht war Ethan durch ihre enge Freundschaft zu lange blind gegen die zunehmenden Differenzen gewesen. Der eine hatte sich entschieden, sich durch seine Leistungen Respekt zu verschaffen; der andere hatte den Respekt im Sinn gehabt, den man genoss, wenn man gefürchtet wurde.
    Außerdem hatten sie sich in dieselbe Frau verliebt, was wohl selbst Blutsbrüder entzweit hätte. Sie hieß Hannah und war in ihr Leben getreten, als alle drei gerade sieben Jahre alt waren. Ethan und Dunny, die bis dahin immer nur zu zweit gespielt hatten, behandelten sie zuerst wie einen Jungen, den sie als einzigen sonst noch in ihre Bande aufnahmen. Die drei Kinder waren unzertrennlich gewesen.

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