Der Wächter
werden?«
»Er war ein Pfundskerl, aber leider hat er das Denken zu oft seinem kleinen Freund da unten überlassen.«
»Da ist er nicht der Einzige.«
»In irgendeiner Kneipe hat er drei scharfe Bräute gesehen. Und weil sie keinen Kerl bei sich hatten, ist er zum Angriff übergegangen. Prompt beißen auch gleich alle drei an und laden ihn in ihre Wohnung ein. Und er meint doch tatsächlich, dass er so blendend aussieht, dass sie sich zu dritt von ihm vernaschen lassen wollen.«
»Aber es war nur ’ne Masche, um ihn auszurauben«, sagte Ethan.
»Schlimmer. Er lässt seinen Wagen stehen und steigt in ihren ein. Zwei von den Mädchen machen ihn auf dem Rücksitz scharf, ziehen ihn halb aus – und dann stoßen sie ihn raus, nur so zum Spaß.«
»Da waren die drei Süßen wohl mit irgendwas zugeknallt.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte Toledano. »Jedenfalls hat sich herausgestellt, dass sie das schon zum dritten Mal gemacht haben. Diesmal hat man sie nämlich erwischt.«
»Neulich hab ich im Fernsehen einen hübschen alten Film gesehen«, sagte Ethan. »Mit Frankie Avalon und Annette Funicello. Eine von diesen harmlosen Urlaubskomödien. Damals waren die Frauen ziemlich anders.«
»Alle anderen auch. Seit Mitte der Sechzigerjahre ist niemand besser oder netter geworden. Ich wollte am liebsten, ich wär dreißig Jahre früher auf die Welt gekommen. Und, wie ist Ihr Freund gestorben?«
»Vier Kerle waren der Meinung, er hätte sie um ein paar Dollar beschissen. Deshalb haben sie ihn ein bisschen verdroschen, ihm mit Klebeband die Hände hinter dem Rücken gefesselt und dann den Kopf so lange in eine Kloschüssel gedrückt, dass ein Hirnschaden eingetreten ist.«
»Mann, das ist aber übel.«
»So wie bei Agatha Christie ist es jedenfalls nicht«, sagte Ethan.
»Aber wenn Sie jetzt mit der ganzen Sache zu tun haben, beweist das doch, dass es zwischen Ihnen und Ihrem Kumpel noch was gegeben hat. Niemand muss den Testamentsvollstrecker spielen, wenn er es nicht will.«
Zwei für den Leichentransport zuständige Mitarbeiter des gerichtsmedizinischen Instituts stießen die Türflügel auf und betraten den Empfang des Gartenzimmers.
Der erste Bursche war groß, Mitte fünfzig und offenbar stolz darauf, noch alle Haare auf dem Kopf zu haben. Er trug sie in einer so kunstvoll hochgekämmten Tolle, dass nur noch Schleifchen fehlten.
Den Kollegen des Haarwunders kannte Ethan sogar. Er stammte aus einer mexikanischen Familie und hieß José Ramirez. Mit seinen kurzsichtigen Augen und seinem träumerischen Lächeln sah er aus wie ein Koalabär.
José lebte nur für seine Frau und seine vier Kinder. Während der Kollege sich mit dem Verwaltungskram befasste, den Toledano ihm vorlegte, bat Ethan José, ihm die neuesten Fotos von Maria und den Kleinen zu zeigen.
Sobald die Formalitäten erledigt waren, führte Toledano seine drei Besucher durch eine Zwischentür ins Gartenzimmer. Hier war der Boden nicht mit PVC belegt wie im Empfangsbereich, sondern mit weißen, fast fugenlos verlegten Keramikfliesen. Eine solche Oberfläche war leicht zu sterilisieren, falls sie von Körperflüssigkeiten verunreinigt wurde.
Obwohl die kalte Luft unablässig durch ein hochmodernes Filtersystem zirkulierte, verströmte sie einen schwachen, unangenehmen Duft. Wenn man starb, roch man meistens nicht nach Shampoo, Seife und Kölnischwasser.
Ob sich in den vier Schubfächern aus Edelstahl Tote befanden, war nicht ersichtlich. Die zwei Leichen auf den Rollbahren hingegen fielen sofort ins Auge. Beide waren mit einem Laken zugedeckt worden.
Von einer dritten Bahre hing ein zerknülltes Leichentuch herab. Mit fassungsloser Miene ging Toledano darauf zu. »Da war er. Genau da.«
Mit verwirrt gerunzelter Stirn schlug er die Laken der anderen beiden Leichen zurück. Bei keiner davon handelte es sich um Dunny Whistler.
Toledano zog nacheinander die vier stählernen Schubfächer auf. Sie waren leer.
Weil das Krankenhaus die große Mehrzahl seiner Patienten nach Hause statt auf den Friedhof schickte, war das hiesige Gartenzimmer wesentlich kleiner als die städtische Leichenhalle. Alle möglichen Verstecke waren damit bereits untersucht worden.
7
In der fensterlosen, drei Stockwerke unter der Erde gelegenen Kammer waren die vier Lebenden und die zwei Toten einen Augenblick lang so still, dass Ethan sich einbildete, den Regen hören zu können, der hoch oben auf die Straßen fiel.
Dann fragte der Mann mit der Haartolle:
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