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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Später war Hannah nicht nur ein Kumpel, sondern auch eine Ersatzschwester für die zwei Jungen, die schworen, sie zu beschützen. Ethan war nie ganz klar geworden, ab welchem Zeitpunkt sie für ihn und Dunny nicht mehr nur Freundin und Schwester gewesen war, sondern auch eine Art Geliebte.
    Dunny, der Hannah unbedingt hatte haben wollen, verlor sie. Ethan wollte Hannah nicht nur haben, er liebte sie wirklich, gewann ihr Herz und heiratete sie.
    Zwölf Jahre lang hatten er und Dunny kein Wort gewechselt – bis zu der Nacht, in der Hannah in just diesem Krankenhaus gestorben war.
    Ethan ließ den verschandelten Sheryl-Crow-Titel im Aufzug weiterdudeln und ging einen breiten, hell erleuchteten Flur mit weiß getünchten Betonwänden entlang. Anstelle von Ersatzmusik hörte man hier nur das leise, aber immerhin authentische Summen der Neonröhren an der Decke.
    Eine zweiflügelige Tür mit quadratischen Fenstern führte in den Empfangsbereich des Gartenzimmers.
    An einem ramponierten Schreibtisch saß ein etwa vierzigjähriger Mann, der eine grünliche Krankenhausuniform trug. Sein Gesicht war mit Aknenarben übersät; ein Schild auf dem Tisch verriet seinen Namen: VIN TOLEDANO. Er las in einem Taschenbuch, auf dessen Einband eine groteske Leiche abgebildet war. Als Ethan sich nach seinem Befinden erkundigte, meinte Toledano, da er am Leben sei, gehe es ihm wohl nicht so schlecht.
    »Vor einer guten Stunde«, sagte Ethan, »hat man Ihnen jemand namens Duncan Whistler geschickt.«
    »Den hab ich auf Eis gelegt«, sagte Toledano und nickte. »An ’nen Bestatter darf ich ihn noch nicht übergeben. Zuerst bekommt ihn der amtliche Leichenbeschauer, weil es ’ne Mordsache ist.«
    Für Besucher stand nur ein einziger Stuhl bereit. Geschäfte, bei denen es um verderbliche Leichen ging, wurden im Allgemeinen zügig abgewickelt, sodass kein Bedarf an einem gemütlichen Wartezimmer mit alten, zerlesenen Zeitschriften bestand.
    »Ich komme nicht von einem Bestattungsunternehmen«, sagte Ethan. »Ich war mit dem Verstorbenen befreundet. Als er gestorben ist, war ich leider nicht hier.«
    »Tut mir Leid, aber Sie dürfen den Toten jetzt nicht sehen.«
    Ethan setzte sich auf den Besucherstuhl. »Das weiß ich«, sagte er.
    Um zu verhindern, dass der Verteidiger des mutmaßlichen Täters das Ergebnis der Autopsie vor Gericht infrage stellte, musste die Leiche vorläufig ständig unter Verschluss gehalten werden, damit sich kein Außenstehender an ihr zu schaffen machen konnte.
    »Er hat keine Angehörigen, die ihn identifizieren könnten, und er hat mich als Testamentsvollstrecker eingesetzt«, sagte Ethan. »Wenn ich also seine Identität bestätigen soll, mache ich das lieber hier als später in der städtischen Leichenhalle.«
    Toledano legte sein Taschenbuch weg. »Letztes Jahr ist ein Typ, mit dem ich aufgewachsen bin, bei weit über hundert Sachen aus dem Auto geschubst worden. Ist schlimm, ’nen guten Freund zu verlieren, wenn er noch so jung ist.«
    Ethan konnte zwar keine Trauer vortäuschen, war aber dankbar für jedes Gespräch, das ihn vom Thema Rolf Reynerd ablenkte. »Wir waren schon lange nicht mehr befreundet«, sagte er. »Zwölf Jahre lang haben wir überhaupt nicht mehr miteinander gesprochen, und in den letzten fünf Jahren auch nur dreimal.«
    »Und trotzdem hat er Sie als Testamentsvollstrecker eingesetzt?«
    »Seltsam, was? Ich hab es erst erfahren, als Dunny hier schon zwei Tage auf der Intensivstation lag. Sein Anwalt hat mich angerufen und mir erklärt, ich wäre nicht bloß der Testamentsvollstrecker, falls Dunny stirbt, sondern hätte bis dahin auch die Vollmacht, mich um seine Angelegenheiten zu kümmern und für ihn zu entscheiden, wie er behandelt werden soll.«
    »Dann muss es immer noch ’ne besondere Beziehung zwischen Ihnen beiden gegeben haben.«
    Ethan schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Doch, ganz bestimmt«, sagte Vin Toledano beharrlich. »Freundschaften aus der Kindheit sind tiefer, als man sich vorstellen kann. Selbst wenn man sich ’ne Ewigkeit nicht gesehen hat, ist es, als wär überhaupt keine Zeit vergangen, wenn man sich wieder trifft.«
    »Bei uns war das anders.« Trotz dieses Einspruchs wusste Ethan, dass es doch etwas Besonderes zwischen ihm und Dunny gegeben hatte: Hannah und die gemeinsame Liebe zu ihr. Um das Thema zu wechseln, fragte er: »Sagen Sie mal, wie hat Ihr Freund es eigentlich geschafft, bei dieser hohen Geschwindigkeit aus dem Wagen geschubst zu

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