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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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einer Überdosis Drogen, an der Kälte oder an einfachem Leberversagen gestorben waren und deren Leiche man in finsteren Gassen, in Parks oder unter Brücken gefunden hatte, wurden hier für ein paar Tage, eine Woche und manchmal sogar länger eingelagert, bis das Personal Zeit hatte, zumindest eine oberflächliche Obduktion durchzuführen.
    Im Tod wie im Leben wurden diese Ausgestoßenen als Letzte bedient.
    Rechts neben der Tür hing ein Telefon an der Wand, als hätte man freundlicherweise dafür sorgen wollen, dass sich die Toten jederzeit eine Pizza bestellen konnten.
    Über fünf der sechs vorhandenen Leitungen waren nur hausinterne Anschlüsse erreichbar, eine diente für normale Telefongespräche. Corky tippte die Nummer von Roman Castevets Mobiltelefon ein.
    Roman, einer der Pathologen der hiesigen Gerichtsmedizin, hatte gerade seinen Dienst in der Spätschicht angetreten. Wahrscheinlich steckte er in irgendeinem Obduktionsraum und wetzte sein Skalpell.
    An der Universität, an der Corky lehrte, hatte er Roman vor über einem Jahr bei einem geselligen Beisammensein von Anarchisten kennen gelernt. Die Speisen des kalten Büfetts waren mittelmäßig gewesen, die Drinks leicht verwässert und die Blumenarrangements nicht besonders phantasievoll, die Anwesenden dafür umso sympathischer.
    Beim dritten Läuten hob Roman ab, und nachdem Corky sich zu erkennen gegeben hatte, sagte er: »Rat mal, wo ich gerade bin!«
    »Du bist dir in den eigenen Arsch gekrochen und findest nicht mehr raus«, antwortete Roman.
    Er verfügte eben über einen ungewöhnlichen Humor.
    »Gut, dass das hier kein Münztelefon ist«, sagte Corky. »Ich hab nämlich kein Kleingeld, und keiner der knickrigen Kadaver hier ist bereit, mir was zu borgen.«
    »Dann bist du bestimmt bei einer Uni-Feier. Niemand ist knauseriger als ein Haufen antikapitalistischer Akademiker, die sich auf Kosten des Steuerzahlers einen schönen Lenz machen.«
    »Man könnte meinen, dein Humor besitzt einen hundsgemeinen Zug«, bemerkte Corky in einem strengen Ton, der eigentlich nicht charakteristisch für ihn war.
    »Da hätte man nicht Unrecht. Grausamkeit ist mein Bekenntnis, das weißt du doch, oder?«
    Roman war Satanist. Heil dem Fürsten der Finsternis, und die ganze Chose. Nicht alle Anarchisten waren Satanisten, aber viele Satanisten hingen außerdem dem Anarchismus an.
    Corky kannte eine Buddhistin, die Anarchistin war – eine widersprüchliche junge Frau. Sonst neigte die große Mehrheit aller Anarchisten seiner Erfahrung nach zum Atheismus.
    Nach eingehender Überlegung war er zu dem Schluss gekommen, dass ein echter Anarchist nicht ans Übernatürliche glaubte, also weder an die Mächte der Dunkelheit noch an die des Lichts. Er setzte voll und ganz auf die Kraft der Zerstörung und auf die neue und bessere Ordnung, die eventuell aus den Ruinen entstand.
    »Wenn man so sieht, wie ihr mit eurer Arbeit im Rückstand seid«, sagte Corky, »dann hat man den Eindruck, dass wir Akademiker nicht die Einzigen sind, die sich auf Kosten des Steuerzahlers einen faulen Lenz machen. Was macht ihr hier eigentlich bei der Abendschicht – Poker spielen und euch Gespenstergeschichten erzählen?«
    Offenbar hörte Roman nur mit halbem Ohr zu, jedenfalls reagierte er nicht auf das Wort hier . »Wortgeplänkel sind nicht gerade deine Stärke. Komm zur Sache. Was willst du? Du willst doch immer irgendwas.«
    »Und ich zahle auch immer gut dafür, oder etwa nicht?«
    »Die Fähigkeit, bis zum letzten Penny alles bar zu bezahlen, ist die Tugend, die ich am meisten bewundere.«
    »Wie ich sehe, habt ihr das Rattenproblem gelöst.«
    »Was für ein Rattenproblem?«
    Vor zwei Jahren hatten die Medien ausführlich über die schaurige Tatsache berichtet, dass Hygiene und Schädlingsbekämpfung in ebendiesem Raum wie auch sonst wo im Gebäude erbärmlich gewesen waren.
    »Inzwischen ist es hier wohl rattensicher«, sagte Corky. »Wenn ich mich umschaue, sehe ich jedenfalls keine nacktschwänzigen Vettern von Mickymaus an irgendeiner Nase nagen.«
    Auf diese Bemerkung folgte ungläubiges Schweigen. »Du bist doch nicht etwa da, wo ich dich jetzt vermute«, sagte Roman Castevet schließlich.
    »Ich bin genau da, wo du mich jetzt vermutest.«
    Die blasierte Selbstgefälligkeit und der Sarkasmus in Romans Stimme verwandelten sich abrupt in pure Ängstlichkeit. »Wie kannst du mir das bloß antun?«, flüsterte er. »Du hast keinerlei Befugnis, hier im Haus zu sein. Besonders nicht da,

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