Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
sich gut mit ihm verstanden, nachdem sie sich – auch an ihm – die Hörner abgestoßen hatten. Und er war kein verzückter Weltentrückter wie einige der Romantiker, die in ihm nur den literarischen Tanzmeister des Rokoko sehen wollten. Wieland hat ein erfolgreiches Leben geführt, in Amt und Würden und auch auf dem Markt, was damals nicht vielen gelang. Seine von Göschen verlegten Sämtlichen Werke brachten ihm so viel ein, dass er 150 Hektar von Gut Oßmannstedt in der Nähe von Weimar erwerben, wenn auch auf lange Sicht nicht halten konnte. »Ich hätte dies Gut nie kaufen sollen, sagte der ehrwürdige Wieland«, kolportierte Böttiger später.
Seume war bei Göschen mit der Betreuung der letzten Bände dieser Werkausgabe befasst, mit wesentlich mehr Freude an der Arbeit als bei den Oden des herablassend hoheitsvollen Klopstock. Dabei schrieb Wieland ebenfalls verstimmte, wenn auch milde Briefe an Göschen wegen der vielen Satzfehler, die Seume übersehen hatte.
Zur ersten persönlichen Begegnung zwischen dem kleinen Korrektor und dem Großschriftsteller ist es erst spät gekommen, zu einem Zeitpunkt, als der Korrektor schon auf dem Sprung war, nach Süden zu marschieren und sich literarisch in den »Spaziergänger« zu verwandeln, als den Wieland ihn dann so sehr ins Herz schloss. Am 20. November 1801, Wielands Frau war knapp zwei Wochen zuvor gestorben, tauchte Seume in Weimar auf, zusammen mit seinem Malerfreund Schnorr von Carolsfeld und einem reisenden Engländer mit Namen Henry Crabb Robinson. Auch bei Goethe sind sie ein Halbstündlein gewesen.
Den zweiten Besuch bei Wieland stattete Seume im August 1802 ab, auf dem Rückweg der sizilianischen Reise, den dritten im Herbst 1805 und den vierten und letzten im Mai 1810, während seiner Ausflucht nach Weimar .
Nach Seumes Tod bezeugte Wieland in einem Brief an Böttiger seine Freundschaft mit dem Verstorbenen. In den letzten Jahren habe es »eine so enge Verbindung unsrer Gemüter« gegeben, »als ob wir schon zwanzig Jahre in einer immer wachsenden Vertraulichkeit mit einander gelebt hätten«. An Göschen schrieb er – oder sollte man sagen, schrie er: »Gott! Welch ein Geist, welch ein Herz, welch ein Charakter ist mit diesem seltnen Mann aus der Welt verschwunden! Dass sein Verlust für mich unersetzlich ist, ist das Wenigste: die Menschheit hat an ihm eine ihrer größten – leider! unerkannten Zierden verloren!« Wie rührend diese Ausrufezeichen sind, stammen sie doch von einem großen Mann, der um einen kleinen trauert.
Seume war immer bewusst, wie schwer es ist, über sich und seine Herkunft hinauszugehen und doch bei sich selbst zu bleiben. In Kampf gegen Marbona , dem von Christian August Tiedge ohne Seumes Wissen verlegten autobiographischen Gedicht, dankt er denen, die ihm ermöglicht hatten, sich auf den Weg zu machen:
»Hohenthal, der Mann von alter Sitte,
Nahm sich mild des Waisenknaben an,
Lenkte freundlich meine ersten Schritte
Auf des Erdenrunds verschlungner Bahn.
Meine Freunde waren Gleim und Weiße,
Waren stets wie gute Väter mir.
Trat der Jüngling aus dem rechten Gleise,
Schalt mit edelm Zorn der Grenadier.«
Mit dem »Grenadier« ist Gleim gemeint, der nie einer war, sondern mit seinen Kriegsliedern nur ein wenig so getan hat. Dass Seume »Grenadier« auf »mir« reimt, klingt nicht nur komisch, sondern ist es auch: Denn nicht Gleim war einfacher Soldat gewesen, sondern Seume, obwohl Seume wie Gleim im Militärdienst nicht geschossen, sondern geschrieben hat. Außer dem »Grenadier« Gleim und dem »Kinderfreund« Weiße zollt Seume auch Wieland poetisch Tribut (»Vater Wieland winkte voll Vertrauen,/Wenn er seinen alten Pilger sah«) – und den Eltern:
»Ehrlich muss ich an dem Pilgerstabe
Frei bekennen, kindlich dankbar sein,
Alles, was ich Gutes an mir habe,
Pflanzten sorgsam mir die Eltern ein.«
In Mein Leben ist der väterliche Elternteil durch die alten Griechen ersetzt:
»Oft pflegte ich und pflege noch jetzt halb im Scherz halb im Ernst zu sagen: Was ich Gutes an und in mir habe, verdanke ich meiner Mutter und dem Griechischen.«
Die Mutter und die Mädchen
In der Schrift über den Schmerz der Eltern bei dem Verlust kleiner Kinder kommt Seume in unmittelbarem Anschluss an die Passage über den Vater auch auf die Mutter zu sprechen. In einer Art Komparatistik der Trauer vergleicht er den Schmerz des dreizehnjährigen Jungen beim Tod des Vaters mit demjenigen, den er als erwachsener Mann beim (noch
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