Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
kommen.«
Normanns wichtigster Adressat war jedoch Gleim, und Gleim blieb das für Seume ein Leben lang, beginnend mit der ersten Gedichtsendung von »Joh. Friedr. Normann« bis zu Seumes Besuch an Gleims Grab auf den letzten Seiten von Mein Sommer 1805 :
»In Halberstadt wallfahrete ich noch mit Sonnenuntergange hinaus in den Garten zu dem Grabe meines väterlichen Freundes und Wohltäters, des alten Gleim.«
Und auf der Stelle wird Gleim mit Klopstock verglichen, mit dem Seume während seiner Lektorenzeit so viel philologische Scherereien hatte.
»Unten hatte ich an der Elbe an Klopstocks Grabe gestanden, und hatte dem Genius gehuldigt: hier [an Gleims Grab] tat ich mehr, ich opferte der reinen Herzlichkeit in heiliger Weihe. Hier in diesem Hause, hier auf der Stelle seines Denksteins hatte ich mit ihm selbst gesessen, und mich mit ihm warm gesprochen über das Gute und das Große. Stichle der Krittler seine kleinen Fehler auf; Gleim war ein edler Mann, wie es nur wenige sind.«
Dies wird durch Goethes unübertreffliche Charakterisierung Gleims im zehnten Buch von Dichtung und Wahrheit bestätigt, obwohl sie mit wohlberechneter Heimtücke von der Achtung des Menschen zur Verachtung des Dichters übergeht: Die »Fördernis junger Leute im literarischen Tun und Treiben, eine Lust, hoffnungsvolle, vom Glück nicht begünstigte Menschen vorwärts zu bringen und ihnen den Weg zu erleichtern, hat einen deutschen Mann verherrlicht, der, in Absicht auf Würde, die er sich selbst gab, wohl als der Zweite [nach Klopstock], in Absicht aber auf lebendige Wirkung, als der Erste genannt werden darf. […] Im Besitz einer zwar dunkeln, aber einträglichen Stelle, wohnhaft an einem wohlgelegenen, nicht allzugroßen, durch militärische, bürgerliche, literarische Betriebsamkeit belebten Orte […] fühlte er einen lebhaften produktiven Trieb in sich, der jedoch bei aller Stärke ihm nicht ganz genügte, deswegen er sich einem andern, vielleicht mächtigern Triebe hingab, dem nämlich, andere etwas hervorbringen zu machen. […] Er hätte ebensowohl des Atemholens entbehrt als des Dichtens und Schenkens, und, indem er bedürftigen Talenten aller Art über frühere oder spätere Verlegenheiten hinaus und dadurch wirklich der Literatur zu Ehren half, gewann er sich so viele Freunde, Schuldner und Abhängige, dass man ihm seine breite Poesie gerne gelten ließ, weil man ihm für die reichlichen Wohltaten nichts zu erwidern vermochte als Duldung seiner Gedichte.«
Seume erfuhr das »andere etwas hervorbringen zu machen« ganz gern von Gleim, in literarischer, psychologischer und auch finanzieller Hinsicht. Doch würde er eine weitere Bemerkung Goethes über Gleim, diesmal in den Annalen , ebenfalls bestätigt haben: »Alles Revolutionäre dagegen, das in seinen älteren Tagen hervortritt, ist ihm höchlichst verhasst, so wie alles was früher Preußens großem Könige und seinem Reiche sich feindselig entgegenstellt.«
Der Barde von Halberstadt war ein großer Verehrer Friedrichs des Großen. Zu Lebzeiten des Königs hatte er Gedichte zu seinem Ruhm veröffentlicht, und nach dessen Tod begann er, einen bizarren Kult mit (angeblichen) Utensilien aus dem Nachlass zu treiben. Über diesen Kult hat sich Seume später – natürlich mit dem gebührenden Respekt – amüsiert und über Friedrichs Größe mit Gleim gestritten.
Den ersten Brief an den »verehrungswürdigen Mann« schrieb Seume auf den Tag genau zwei Monate nach Friedrichs Tod aus der preußischen Garnison in Emden unter dem schon im Briefwechsel mit Freund Korbinsky benutzten »Joh. Friedr. Normann«. Darin gibt es eine längere Passage, in der Seume versichert, gern für den preußischen König, den alten wie den neuen, zu sterben, ganz im Sinne jener Preußischen Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier , die Gleim als Dichter berühmt gemacht hatten. Der Dichterruhm hatte schon etwas Patina angesetzt, als Seume Jahrzehnte später seinen Brief schrieb, doch Gleims Ruf als Wohltäter war lebendig. Es war nicht unklug von Seume, auf Friedrich zu sprechen zu kommen, und auf die Lage, in der er sich zur preußischen Monarchie befand. Dass es sich um eine Zwangslage handelte, und dass er bereits schon einmal desertiert war, behielt er für sich, die Gründe für den erst noch bevorstehenden zweiten Versuch allerdings deutet er an:
»Meine Pflicht und mein Eifer vor Friedrichs Haus befehlen mir, künftig unsern neuen Monarchen mit gleicher
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