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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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»warmen Ode« küsst Seume »die Hände des Patriarchen«, in seinem kühlen Brief klopft er dem Autor auf die Finger. Aber bevor er an den Klopstock-Versen seine Exempel statuiert, macht er noch einmal die eigene Stellung klar. Dabei führt er in seumescher Übertreibung sogar seine ehemalige militärische Handlangerei ins Gefecht, um dem Wort des literarischen Söldners mehr Stoßkraft zu verleihen. Nicht nur um Brot geht es, sondern auch um Lob:
»Denn wenn ich mir bewusst wäre, dass ich bloß für das Geldsalar die Feder in die Hand nähme, so wollte ich sie diese Minute wegschnellen und die Holzaxt dafür ergreifen. Göschen legte uns [Seume und dessen Mitkorrektor Lorent] unser Sündenregister mit aller Gütmütigkeit und Nachsicht eines Mannes vor, der für seines Namens Ehre und seine Kasse zugleich besorgt sein muss. Ich habe einige Mal vor dem scharfen Kanonenfeuer gestanden; ich kann Ihnen aber versichern, dass mir nicht schwerer dabei zu Mute war, als bei dieser Eröffnung. Erlauben Sie mir also, wo nicht zu meiner Rechtfertigung doch zu meiner Entschuldigung, einige offenherzige Bemerkungen, deren Würdigung ich Ihrer Billigkeit gänzlich überlasse.«
    Wider seine Gewohnheit fertigte Seume eine Abschrift des Briefes an, die er Göschen überließ – nachdem der Brief abgeschickt war. Klopstock reagierte nicht, jedenfalls nicht Seume gegenüber. Er konferierte nur mit dem Chef, wie Große es nun einmal hinter dem Rücken der Kleinen zu tun pflegen. Und einmal mehr suchte Seume Trost bei Vater Gleim:
»Auf meinen ziemlich umständlichen Expektorationsbrief hat Klopstock keine Silbe geantwortet, ziemlich klassisch gegen einen Proletarier.«
    Noch im September 1803 – Klopstock war im Frühjahr gestorben – hing Seume die Missachtung nach. Auf eine Anfrage Böttigers, etwas über Klopstock zu schreiben, antwortete er unwirsch:
»Sie wollen von mir Nachrichten über Klopstock haben, vermutlich in der Voraussetzung, ich müsse, da ich den letzten Druck seiner Werke besorgen half, mit ihm in näherer Verbindung gestanden haben. Das ist aber nicht der Fall. Klopstock hielt einen Korrektor in der Druckerei für ein zu subordiniertes Ding, als dass er sich mit ihm in Vertraulichkeit hätte einlassen sollen.«
    Dann kramte er die alten Beispiele aus, erinnerte an »Klopstocks Vorliebe für das heilige Dunkel«, schrieb den langen Brief ab, den er mehr als vier Jahre zuvor dem Dichter geschickt hatte, und klagte, noch immer frisch verwundet:
»Auf diesen Brief, der vielleicht etwas anders hätte sein können, antwortete Klopstock – nicht eine Silbe. Ohne weitere Erörterung ließ er mir durch Herrn Göschen sagen, es möchte in den bewussten Stellen bleiben, wie ich gesetzt habe. Das war nun allerdings Genugtuung; aber die Art kam mir doch nicht außerordentlich human vor.«
    Göschen erbat von Seume ebenfalls einen Nachruf auf Klopstock. Auch dieser Bitte mochte der Exkorrektor nicht entsprechen. Immerhin empfahl er im November des Jahres darauf die Bände sieben und acht der Werkausgabe mit einer Kurzrezension in der Zeitung für die elegante Welt . Höflich erinnerte er sich des verstorbenen »Altvaters der deutschen Dichter des vorigen Jahrhunderts«, der ihm zu Lebzeiten so schwer zu schaffen gemacht hatte.
    In der Epoche des editorischen Papierkrieges versuchte Göschen, durch Depeschendiplomatie zu retten, was nicht zu retten war. »Sonderbar ist die Geschichte der Druckfehler«, bemerkte er Klopstock gegenüber, und erklärte dem wieder einmal verärgerten Dichter, wie aus einem verkehrten Wiederhaken erst ein richtiger Wiederhall und dann ein völlig falsches Wiederhaue werden konnte, wobei das heute fehlerhafte ›wieder‹ in Haken, Hall und Hau damals noch richtig war: »Der Setzer setzet Wiederhake, Säume korrigiert das k und setzt zwei ll, der Setzer lieset das als ein u und nun wird Wiederhaue daraus.«
    Dass im Zitat Säume statt Seume steht, ist kein Versäumnis (man könnte glatt Verseumnis schreiben) des Korrektors des vorliegenden Buches, sondern eine korrekte Wiedergabe des Göschenbriefs. Von heute aus betrachtet wirkt es komisch, dass der Verleger in einem Brief, mit dem er seinen Autor wegen der Fehler seines Korrektors beschwichtigen will, prompt den Namen des Korrektors verkehrt schreibt. Aber was ist ›verkehrt‹? Und wer befindet darüber?
    Rechtschreibreformen wurden nicht erst in den 90er-Jahren des 20.Jahrhunderts zum Aufreger, sie waren es schon im letzten Drittel des

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