Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
prinzipienreiterische) Unterscheidung zwischen Ruhm und Ehre erinnert an die strenge (und prinzipienreiterische) Trennung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Gebrauch der Vernunft, wie sie Kant in Was ist Aufklärung? gezogen hatte: »Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf.« Der » öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein«, indessen »der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern«.
Die auf den ersten Blick irritierende Terminologie leuchtet – es geht schließlich um Aufklärung – beim zweiten Lesen ein. Gäbe es die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Vernunftgebrauch nicht, wäre die Ausübung eines Amtes der Privatauffassung des Amtsträgers ausgeliefert. Der funktionelle Wert und die soziale Würde eines Amtes sollen aber gerade nicht von der Person dessen abhängen, der es gerade ausübt.
Andererseits zieht Kants unter Funktionsgesichtspunkten nachvollziehbare Einschränkung des Vernunftgebrauchs auf das, was damals ›räsonierende Öffentlichkeit‹ genannt wurde, auch eine Ausschließung nach sich: die Ausschließung all derer, die nicht zu dieser Öffentlichkeit gehören. Diese Ausschließung ist umso folgenreicher, als Selbstaufklärung ohne Öffentlichkeit sehr schwierig ist: »Daher gibt es nur wenige«, schreibt Kant, »denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln«. Seume hätte (teilweise) das Recht gehabt, sich zu diesen wenigen zu zählen. Doch Kant fügt hinzu: sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln »und dennoch einen sicheren Gang zu tun«. Davon dürfte Seume weit weniger überzeugt gewesen sein. Jedenfalls war ihm die Ehre eine Stütze, ein Wanderstab auf dem Weg zur Wahrheit. Geht man auch irre, bleibt man doch wahrhaftig, solange man sich auf das Verlangen nach Wahrheit stützt.
Der Ruhm ist eine Art historischer Amtsanmaßung, eine private Anmaßung in öffentlicher Rolle, was ihn mit Kants »privatem Gebrauch der Vernunft« verwandt macht. Die Ehre hingegen hat Posten nicht nötig oder wird gar von ihnen beschädigt; und die Ehre vor sich selbst braucht nicht einmal Publikum und Wirkung. Erst wo Seume den Ruhm zu einer Sache der Zeitungen und die Ehre zur Privatangelegenheit erklärt, endet die Vergleichbarkeit des Begriffszwiespaltes Ruhm vs. Ehre mit dem Dualismus von öffentlichem und privatem Vernunftgebrauch bei Kant.
Die Frage, wie persönliche Identität und Integrität psychologisch zu bewerkstelligen und wie Vernunft und Öffentlichkeit sozial zu organisieren seien, beschäftigte die Autoren umso stärker, je weiter der publizistische Markt wuchs und je schneller die publizierte Meinung zirkulierte. Nicht mehr am allgemeinen Wohl orientiert zu sein, sondern am persönlichen Erfolg, war ein häufig erhobener Vorwurf in den Schriftstellerfehden der Zeit um 1800. Seumes Freund Merkel hat diesen Vorwurf gegen Goethe und Schiller erhoben, seit sie mit den Xenien eine Attacke gegen ihre Gegner geschrieben hatten, und seit sie in Jena über eine Literaturzeitung verfügten, die nicht nur Überraschungsangriffe führen, sondern auch Stellungen verteidigen konnte.
Diesen Auseinandersetzungen, bei denen sich das Ringen um die Sache kaum noch vom persönlichen Kampf um Anerkennung unterscheiden ließ, bei denen Strategie und Taktik wichtiger wurden als Form und Inhalt, um deretwegen der Streit doch eskaliert war, bei denen Cliquenwesen und Intrigen die Ziele verstellte, die mit den Cliquen und Intrigen erreicht werden sollten – diesen Kriegsgebieten des Literaturbetriebs wich Seume aus wo immer es ging. Nur sich selbst verpflichtet führte er in seinen letzten Jahren einen literarischen Überlebenskampf – wie ein Partisan, der sich allein in unwegsamem Gelände verlaufen hat. Im Oktober 1807 schrieb er an August Kuhn, den neuen Herausgeber des Freimüthigen :
»Ich lebe übrigens von der Welt abgesondert. […] Meine Tagesarbeiten nehmen meine Zeit weg, und sodann habe ich wenig Lust zu spielen. Die Jahre dazu sind vorbei. […] Wenn ich Zeit hätte, würde ich sie auf größere Arbeiten wenden, nicht um
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