Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
erquickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand auf ihren Ellbogen gestützt; ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich; ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte: – Klopstock!«
Lob und Brot
Friedrich Gottlieb Klopstock galt seit der Veröffentlichung der ersten drei Gesänge seines Versepos Der Messias im Jahr 1748 vielen als der deutsche Dichter schlechthin. Wenn Lotte »Klopstock!« sagt, nennt sie nicht bloß den Namen eines berühmten Literaten, sondern spricht eine poetische Lebenshaltung aus. Die Dichtung veredelt das menschliche Dasein, und der Dichter personifiziert diese nahezu göttliche Veredelung. Werk und Schöpfer entfalten sich aber nicht mehr in der elitären Abgeschiedenheit eines Mäzenatenhofs, sondern mittels des publizistischen Erfolgs beim großen Publikum. Der Markt bringt den Mythos hervor, der Poet ist Produzent und seine Poesie ein Produkt. Gleichwohl wusste Klopstock die alte Rolle des Sehers und Barden noch einmal mit Bravour auf der neuen Bühne des Marktes zu spielen. Aber gegen Ende des Jahrhunderts war der Kultautor Klopstock museal geworden, ein wandelndes Denkmal seiner selbst.
Einer solchen Zelebrität die Korrekturen zu lesen war keine spaßige Angelegenheit, für einen Mann wie Seume um so weniger, als er sich seelisch auf die Leutseligkeit derer angewiesen fühlte, denen er zur Hand ging, sei es ein Militär oder ein Dichter. Er setzte sich beflissen ans Bett eines Generals, aber im Vorzimmer zu warten, machte ihn rasend. Er verglich mühselig Satzfahnen mit Handschriften, wie es sich für den subalternen Verlagsmitarbeiter gehörte, aber auch noch als ein Subalterner des Geistes behandelt zu werden, konnte er nicht ertragen. Er tat Dienst bei Göschen in Grimma um des Brotes willen, denn der Mensch lebt nicht vom Buch allein. Aber neben dem Lohn verlangte er Lob, wo es ihm gebührte, und vor allem Anerkennung: in sachlicher und noch mehr in menschlicher Hinsicht.
Die Kombination Klopstock – Seume hätte unseliger kaum sein können: Auf der einen Seite der Hohepriester, der seine Persönlichkeit zelebrierte, als wäre sie ein Amt; auf der anderen Seite der Gelegenheitsautor, der den Dienst am fremden Altar wenig segensreich fand. Dennoch nahm er diesen Dienst ernst und war päpstlicher als der Literaturpapst. Anlässlich des Streites um ein Komma überlegte er in einem Rechtfertigungsbrief an Göschen, ob Klopstock womöglich auf einen Textsinn aus sei, »den ich nicht wollen würde, wenn ich Klopstock wäre«.
Auf einen solchen Einwand muss man erst einmal kommen. Es handelt sich nicht bloß um das übliche ›Wenn ich Du wäre‹, mit dem Freunde sich rhetorisch einer in des anderen Lage versetzen. Seume insinuiert vielmehr, dass Klopstock sich selbst nicht verstehe. Womit er übrigens recht hatte, wenn auch nicht wegen eines ungeschickt gesetzten Kommas, sondern wegen Klopstocks gesamter künstlerischer Haltung. Die Dunkelheit in der Poesie des Meisters nahm mit dessen Alter so weit zu, dass die Verse sinnfreier Wohlklang wurden, zum Geraune, an dem es gar nichts weiter zu verstehen gab, ganz gleich, wo sich die Kommas herumtrieben.
Das im Brief an Göschen beklagte Komma, das dem Klopstock-Vers einen Sinn verlieh, den Seume nicht hätte wollen können, wäre er Klopstock gewesen, hatte ein Nachspiel in einem Brief an Gleim. Dieser Brief sei ausnahmsweise nicht modernisiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst zitiert, sondern mit allen Kommas – die fehlen:
»Über Klopstocks Oden habe ich allerdings mehrere Sünden auf meinem Gewißen. Göschen hat mehrere Bogen umdrucken laßen, woran theils der Setzer, theils ich, theils Klopstock selbst Schuld war.«
Nach etlichen Klagen über die Fehler und Unleserlichkeiten in der Handschrift folgt die Komma-Beschwerde:
»Er spricht von der Dichtkunst, und sagt sie steige empor und schwebe, schöner Bläue nahe Nachbarin über dem Regenbogen. Er will nach Bläue, ein Komma. Der Sinn ist dadurch; die Dichtkunst wird schöner/schöner/Bläue, und ist nahe Nachbarin über dem Regenbogen. Dann scheint mir aber das nahe Nachbarin zu über dem Regenbogen etwas hart konstruiert. Ohne Komma ist, däucht mich der Sinn nicht weniger schön. Sie schwebt schöner Bläue nahe Nachbarin über dem Regenbogen; als nahe Nachbarin der schönen Bläue des Himmels schwebt sie über dem Regenbogen. Ich überlaße es Ihnen mein Gefühl zu
Weitere Kostenlose Bücher