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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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würdigen. Das Komma war im Manuskpt etwas undeutlich, daß ich es leicht für keines nehmen konnte.«
    Nachdem er sich das Satzzeichen von der Seele geschrieben hat, schließt er den Brief mit der Bitte:
»Aber Sie verzeihen, dass ich Sie ermüde; ich rechne bloß auf Ihre Teilnahme und Ihre große Güte. Mich und mein Büchlein empfehle ich Ihnen mit wahrhaft kindlichem Zutrauen und halte es für eine glückliche Periode meines Lebens, wenn ich Ihnen dadurch nicht missfällig geworden bin. Ihr gehorsamster Seume. Grimma, den 22. Febr. 98.«
    Mit dem Büchlein ist das gerade erschienene zweite Bändchen der Obolen gemeint. Mag sein, dass ein Korrektor, der nicht wie Seume zugleich Poet gewesen wäre, dem Komma in einer Ode weniger Gewicht beigemessen hätte. Doch war der Konflikt zwischen Klopstock und Seume nicht bloß der zwischen einem großen und einem kleinen Dichter. Die Auseinandersetzung hatte grundsätzliche Bedeutung. Neben den persönlichen Empfindlichkeiten ging es um die sozialen Rollen, die es in einem arbeitsteiligen literarischen Herstellungsprozess jeweils einzunehmen und eben auch auszuhalten galt – in einem Herstellungsprozess, der sich nicht mehr an einem Mäzen zu orientieren hatte, sondern am Markt. Aus Seumes Perspektive war nicht Priesterschaft, sondern Professionalität gefragt. Klopstock wiederum, der ohne Sponsoring, wie man heute sagen würde, seine Messiade niemals hätte schreiben können, mochte sich nicht vom Korrektor eines Verlegers belehren lassen, hatte er doch die Dienstbarkeit eines Königs genossen, auch wenn es nur der von Dänemark war. Dass der Markt ein anderes Verhaltensrepertoire verlangte als das Mäzenatentum, wurde von Klopstock nicht wahrgenommen – oder übersehen. Das gelang ihm ausgerechnet deshalb, weil seine Stellung auf dem Markt lange so dominant war, dass er sich mit Konkurrenz kaum zu beschäftigen brauchte. Er gehörte mit seinen Oden zu den seltenen Schriftstellern im 18.Jahrhundert, die wenigstens zeitweise allein von dem leben konnten, was ihre Muse am Markt eintrug.
    Zwischen Seume und Klopstock nahmen die Spannungen nach dem Komma-Skandal weiter zu. Ein Jahr, nachdem sich Seume in seinem Brief an Gleim über den Sinn von »schöner Bläue nahe Nachbarin« klar zu werden suchte, schickte er ein Tintenstöhnen an Chef Göschen, nun wieder zitiert nach heute geltender Rechtschreibung:
»Ich halte es für eine meiner herkulischen Arbeiten, dass ich Klopstocks Oden noch so gemacht habe, wie sie gemacht worden sind; denn sie sind in jeder Rücksicht das schwerste Werk der Typographie in Hinsicht auf Korrektheit, ausgenommen mathematisches Zahlenwesen. Der Alte dankt mir nicht dafür, weil er glaubt, das ist Handlangersache.«
    Wenige Wochen später bringt er Gleim gegenüber die literarische Handlangerei mit dem militärischen Söldnerwesen in Verbindung:
»Ich merke, dass die Handlangerei mir sehr undankbare Arbeit ist, bei der man weder vom Verleger noch Autor noch Publikum etwas verdient: die Hand voll Münze, und wenn es auch Gold wäre, ist nur Bezahlung für den gewöhnlichen Söldner.«
    Und der wollte Seume nicht sein, bei Igelström nicht und auch nicht bei Göschen. Gleichwohl legte er in dem Renitenzbrief, den er auf dem Höhepunkt der Krise ohne Absprache mit dem Verleger an Klopstock schrieb, dem Dichter die »Handlangerei« selbst in den Mund:
»Verehrungswürdiger Mann,
Es ist eine sehr gemischte Empfindung, mit welcher ich es wage, Ihnen zu schreiben. Aber mein Herz gebietet mir, und ich folge ihm […] Ich habe als Korrektor den Druck Ihrer Oden mit besorgen helfen, und glaube sicher, eine der schwersten Arbeiten der literarischen Handlangerei gemacht zu haben. Mein Vergnügen dabei war groß […] Ich glaube, eben mein Genuss bei der Arbeit hat vielleicht der Korrektheit geschadet, und ich war nicht mechanisch genug zu dem Werke, das ich übernommen hatte. […] Etwas sehr Überflüssiges für einen Korrektor, werden Sie vielleicht sagen; und ich gestehe es gern ein.«
    Allerdings nur im Allgemeinen, für sich selbst beansprucht er einen anderen Status. Zu Recht, schließlich war auch er Poet. Der erste Band seiner Obolen enthielt sogar ein Gedicht An Klopstock . Der poetische verehrte Meister wandte das Gedicht gegen den Korrektor und erkundigte sich bei Göschen, wie Seume, »der mir eine so warme Ode gemacht hat, so grausam gegen mich gewesen ist«, einen »gigantischen Druckfehler« stehen zu lassen.
    In der letzten Zeile der

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