Der wahnsinnige Xandor
ihn große Augen strahlend an. Das weizenfarbene Haar umwehte das von einem Geheimnis umgebene Gesicht und verschleierte es. Sie trug ein langes weißes Gewand, das Mythor jedoch nur unbewusst wahrnahm.
Vor ihm stand seine Göttin. Die unbekannte Schöne von dem Pergament. Sie lächelte, drehte sich langsam und majestätisch um und schritt davon.
»Warte!« rief Mythor ihr nach, aber sie schien ihn nicht zu hören. Sie entfernte sich immer weiter, und Mythor musste ihr folgen, wollte er sie nicht aus den Augen verlieren.
Seine Freunde fielen ihm ein. Aber für sie konnte er jetzt nichts mehr tun. Sie waren irgendwo im Sumpf verschollen, und er wusste nicht, in welcher Richtung er nach ihnen suchen sollte. Die Frau da vorne war dagegen ein sichtbares Ziel.
Er lief ihr nach und holte auf. Aber als er glaubte, sie erreicht zu haben, entschwand sie ihm wieder.
»Warte auf mich!« rief er keuchend.
Sie bewegte sich gemächlich über das unwegsame Gelände, schwebte förmlich über Hindernisse und Sumpflöcher hinweg. Aber sie blieb stets außer Mythors Reichweite, wie sehr er sich auch abmühte, sie einzuholen.
Er geriet in ein Sumpfloch und wurde von einer Riesenspinne angefallen. Er zerhieb sie mit dem Schwert und befreite sich vom Würgegriff einer Schlange, die sich aus einem Baum auf ihn herabfallen ließ. Seine Göttin war verschwunden.
Es krampfte ihm das Herz zusammen, als er sie nirgends sehen konnte. Er kletterte auf einen umgestürzten Baum - und da sah er sie wieder. Sie stand vor einer von Pflanzen überwucherten Mauer. Dahinter erhob sich weiteres Gemäuer. Das Mädchen seiner Sehnsüchte winkte ihm, und er kam der Aufforderung nach.
Sollte es wahr sein? Konnte er der Erscheinung wirklich glauben? Oder war alles nur Lug und Trug? Er erinnerte sich, was seinen Freunden widerfahren war, und das klärte seinen Verstand.
Mythor wurde langsamer. Aber er hielt weiterhin auf die überirdische Erscheinung zu. Egal, was er davon hielt, sie hatte ihn in ihren Bann geschlagen. Als er ihr bis auf drei Schritte nahe war, wollte sie wieder entschwinden. Aber diesmal ließ sich Mythor nicht überraschen.
Er stürzte nach vorne, um nach dem Mädchen zu fassen. Doch seine Hand griff ins Leere.
In seiner grenzenlosen Enttäuschung hieb er schreiend auf die Erscheinung ein, und sie barst in einer blitzartigen Lichtentladung und verging in einer Wolke unzähliger Irrwische.
Aus den Ruinen erscholl ein schrilles Gelächter. »Zuerst die anderen, dann du!« rief eine schaurige Stimme, die sich zwischen den überwucherten Schlossruinen brach. »Deine Freunde sind in meiner Gewalt. Du aber sollst Magnor de Freyn gehören!«
Mythor blickte sich nach dem Xandor um, konnte jedoch nichts entdecken. Es war unheimlich still in der Ruine. Nichts regte sich. Vor ihm dehnte sich eine grüne Fläche aus, die moosbewachsen schien. Aber Mythor traute dem nicht.
Er rührte sich nicht von der Stelle. Er überlegte, wie er ungefährdet in die Ruine eindringen könne, um nach dem Versteck des Xandors Krüdelzuhr zu suchen. Er kam zu dem Schluss, dass es noch am sichersten sei, sich entlang dem Gemäuer zu bewegen.
Gerade als er darangehen wollte, seine Absicht in die Tat umzusetzen, kam Bewegung in den grünen Teppich. Die moosartige, dicke Schicht teilte sich, und aus dem darunterliegenden Schlamm tauchte eine Gestalt auf.
Mythor wich vor Entsetzen und Abscheu bis an die Wand zurück und verhielt erst, als sich Dornen schmerzhaft in seinen Rücken bohrten.
Das Wesen, das aus den Tiefen des Sumpfes auftauchte, war einst zweifellos ein Mensch gewesen. Kopf, Körper und Gliedmaßen waren immer noch zu erkennen, aber sie waren von Verwesung gezeichnet.
Das Gesicht hatte keine Augen, in den Höhlenwand und schlängelte sich winziges Getier. Die Nase war zerfressen, der Mund wie zu einem Schrei weit aufgerissen, und in der großen, weiten Mundhöhle schwirrten Irrwische und hatten Schmarotzerpflanzen die Zähne ersetzt. Dieser lebende Tote stand triefend vor Mythor.
»Ich bin Magnor de Freyn«, sagte er mit unmenschlichem Krächzen. »Ich muss dich töten.«
Mythor war überrascht, als die Schauergestalt eine geschmeidig anmutende Bewegung zur Hüfte machte und ein langes, schmales Schwert zog, wie er es schon bei Graf Corian gesehen hatte.
»Deine Lebenskraft wird durch die Klinge auf mich überströmen«, sagte Magnor de Freyn. »Aber zuvor, muss ich wissen, wessen Leben ich verschlinge.«
»Ich bin der Sohn des Kometen«,
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